Einleitung
Der Zeichner Max Weiler
Dr. Regina Doppelbauer
Der Künstler Max Weiler (1910-2001) hinterließ mit rund 1600 Gemälden und vierzig großformatigen Arbeiten im öffentlichen Raum nicht nur ein vielgestaltiges malerisches Œuvre, sondern zählt auch zu den bedeutendsten und produktivsten europäischen Zeichnern seiner Generation. In mehr als siebzig Jahren künstlerischer Arbeit entstand ein knapp 3.500 Arbeiten umfassendes zeichnerisches Werk, das sich in so gut wie allen Formaten und Techniken ausdrückt.Während die Malerei zuletzt in großen Personalen (i) präsentiert und durch grundlegende Publikationen (ii) erschlossen wurde, blieben Umfang und Bedeutung der Zeichnungen länger nur ansatzweise beschrieben.
Autonome Zeichnungen
Die hier publizierten knapp 3.500 Zeichnungen geben – trotz wahrscheinlicher Lücken – einen gültigen Überblick über das zeichnerische Werk von Max Weiler. Die große Anzahl erlaubt, nicht allein die Höhepunkte des Werks kennenzulernen, sondern sie auch in ihrer Stellung im künstlerischen Prozess zu verstehen und Einblick in die Werkstatt, in Phasen des Übergangs und der Formsuche zu nehmen.Das Werkverzeichnis versammelt die autonomen Zeichnungen, jene Blätter also, die thematische und ästhetische Eigenständigkeit beanspruchen und die nicht dienend in den Entwurfsprozess anderer Werke eingebunden gewesen sind. Das bedeutet, dass Vorarbeiten zum öffentlichen Werk - zu den Wandmalereien, Mosaiken und Glasfenstern - hier nicht erfasst sind. Diese rund eintausend erhaltenen Skizzen, Entwürfe und 1:1-Kartons wurden in Vorbereitung der 2010 in Innsbruck gezeigten Ausstellung „Max Weiler. Die großen Werke“ vom Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum katalogisiert. Sie können dort in einer Datenbank eingesehen werden.
Trotz der aus praktischen wie methodischen Gründen notwendigen Fokussierung auf das autonome Blatt wurden an wenigen Stellen Zugeständnisse an unscharfe Ränder gemacht: So wurden die Vorarbeiten zum Eisernen Vorhang im Landestheater Innsbruck in dieses Werkverzeichnis aufgenommen. Sie nehmen eine starke Position am Schluss einer wichtigen zeichnerischen Arbeitsphase ein und können ungeachtet ihrer funktionalen Verflechtung auch als ästhetisch autonom wahrgenommen werden.
… und wenige Vorzeichnungen
Darüber hinaus wurde auch die kleine Gruppe erhaltener Vorzeichnungen zu Gemälden oder Porträts in dieses Werkverzeichnis aufgenommen, aus dem rein praktischen Grund, dass sie an keiner anderen Stelle einseh- und recherchierbar wären.Während zum öffentlichen Werk zahlreiche Vorarbeiten existieren, sind zu den Gemälden nur wenige Skizzen und Vorstudien überliefert. Zum überwiegenden Teil handelt es sich dabei um Vorbereitungen zu Porträts, wie jenen Gottfried Hohenauers, Clemens Holzmeisters oder Herbert Batliners. Was die sehr viel größere Anzahl auftragsungebundener Gemälde, zumindest bis zum Jahr 1963, betrifft, so scheint es, dass Max Weiler meist direkt auf der Leinwand skizziert und/oder entsprechende Vorarbeiten nicht aufbewahrt hat.
Probierpapiere
Für die ab 1963 entstandenen Gemälde gilt eine eigene, erst in den letzten Jahren von Margret Boehm entschlüsselte und von Edelbert Köb im internationalen Zusammenhang interpretierte Entstehungsgeschichte (iii). Max Weiler erschließt sich mit seinen Probierpapieren - Blättern, auf denen er überschüssige Farbe abstreift, Farbmischungen ausprobiert - eine Quelle formaler Anregung, die das ganze Spätwerk speist. Er grenzt auf diesen absichtslos entstandenen Papieren mit dem Bleistift Ausschnitte ein, die er anschließend minutiös in die Qualität monumentaler Malerei überträgt. Ob am Weg vom Probierpapier zur großformatigen Malerei planerische Zwischenstufen eingeschaltet wurden, wissen wir (noch) nicht. Im Nachlass haben sich einige wenige Skizzen erhalten, in denen sich Max Weiler der Proportion des gewählten Ausschnittes und seiner Hauptmotive zeichnerisch vergewissert (iv).Probierpapiere sind Atelierrelikte und keine Kunstgegenstände (v) und daher in dieser Datenbank nicht erfasst. Um jedoch Max Weilers Verfahren anschaulich zeigen zu können, wird eine Ausnahme gemacht: 1965 werden Ausschnitte aus Probierpapieren auch zur Formquelle für die Tuschpinselzeichnungen, und in einem Fall lässt sich die Verbindung zwischen Probierpapier und Zeichnung direkt nachweisen (vi).
Später gewinnt Max Weiler aus der Nahsicht auf feinste Mikrostrukturen der malerischen Materie – Trocknungsrisse, Pinselspuren – ein reiches zeichnerisches Vokabular (vii). Dieses bewährt sich auch in den achtzehn monumentalen Kohlezeichnungen, die zwischen 1978 und 1980 entstehen (viii), und ist künstlerisches Mittel und Gegenstand in der 1985 entstandenen, zehn Meter langen Arbeit auf Leinwand Naturgebild (ix).
Gattungsfragen: Zeichnung, Malerei und/oder Arbeit auf Papier?
Bereits bei der Erfassung wurde deutlich, dass eine strikte Einhaltung der Gattungsgrenzen zwischen Zeichnung und Malerei, also eine Beschränkung auf die rein zeichnerischen Ausdrucksweisen von Linie und Strich nicht sinnvoll ist, da sie die besondere Ausprägung des Werks nicht wiedergeben könnte. Max Weiler hat seine bedeutendsten Werkblöcke auf Papier ausschließlich in zeichnerischen Techniken wie dem Bleistift, der Tusche oder der Kohle geschaffen. Darüber hinaus bilden aber gerade fließende Übergänge zwischen zeichnerischen und malerischen Verfahren und Kombinationen von Farbe/Malerei und Zeichnung ein spezifisches Charakteristikum seines Arbeitens auf Papier. Das vorliegende Werkverzeichnis trägt dem Rechnung. Es umfasst, um die Spannbreite von Weilers Umgang mit dem Trägermaterial Papier zu zeigen, auch die kleineren Gruppen schierer Malerei - Werke, die ausschließlich in Aquarell oder Eitempera gearbeitet sind. Papier war hier für Max Weiler schlichtweg der am besten geeignete Bildträger gewesen.Druckgraphik
In das Werkverzeichnis wurde auch die Druckgraphik aufgenommen, da sie an einzelnen Stellen im Werk wichtige Entwicklungsschritte parallel zur Zeichnung, aber auch unabhängig von ihr setzt. So untersucht Max Weiler im Jahr 1957 in einer explizit Spannungen betitelten Serie farbiger Monotypien das Verhältnis von Form und Grund (x). Die Mappenwerke der achtziger Jahre (Bewachsen; Kunst wie Natur; Zwischenwesen) reflektieren Themen der Zeichnung und der Malerei eigenständig in der Ästhetik von Radierung und Kaltnadel. Die Druckgraphik wird in die Chronologie eingebettet, aber jeweils in eigenen Gruppen getrennt ausgewiesen.Die Druckgraphik ist noch nicht vollständig erfasst. Zu recherchieren sind zudem die für die Gattung wichtigen Angaben wie Auflagenhöhe oder Zustände. Als work in progress wird dieser Bereich weiter bearbeitet.
Tag- und Nachthefte
Das Werkverzeichnis zu Max Weilers Papierarbeiten, die Publikationen zur seiner Malerei und die Aufarbeitung des öffentlichen Werks ermöglichen es, das Œuvre nun aus neuen Perspektiven zu untersuchen.Die Vorstellung von Max Weilers Produktivität wäre jedoch unvollständig, bliebe sein schriftliches Werk unerwähnt. Max Weiler hat im Medium des Tagebuchs - den vom Ende der vierziger Jahre bis zum Jahr 1993 geführten „Tag- und Nachtheften“ - Alltag und künstlerische Praxis reflektiert. Bisher auszugsweise in Ausstellungskatalogen und der Literatur publiziert, ist eine Edition der von Margret Boehm transkribierten und kommentierten Tag- und Nachthefte Max Weilers geplant.
i | zuletzt Max Weiler. Im Jahrhundert der Moderne. Malerei seit 1927, Retrospektive Künstlerhaus Wien 1999/2000; Max Weiler (1910 - 2011). Die Natur der Malerei, Essl Museum Klosterneuburg 2010 |
ii | Gottfried Boehm: Der Maler Max Weiler – Das Geistige in der Natur, Wien, New York 2001 (2010) |
iii | Margret Boehm, „Von mir entdeckt und doch Natur. Max Weilers „Probierpapiere““ in: Max Weiler (1910 – 2011). Die Natur der Malerei, Essl Museum Klosterneuburg 2010, 2. Aufl., München 2010, S. 33ff.; Edelbert Köb, „Die Natur der Malerei“, ebd., S. 18 ff. |
iv | z.B. Weiler3509, Weiler3510 aus den Jahren 1973 und 1974 |
v | zu den Probierblättern und der Problematik von Fälschungen: Edelbert Köb, „Max Weilers Probierblätter. Die Grundlage des Spätwerks“, in Kunstgeschichte aktuell, Jg. XXXI, 3-4/14, S. 11, Wien 2014 |
vi | Das Probierpapier Weiler964v befindet sich auf der Rückseite der Zeichnung Weiler964 aus dem Jahr 1948. Es bildete die Vorlage zu Weiler1632 aus 1966 und Weiler3166 aus 1965. |
vii | z.B. Weiler2104 |
viii | In der Datenbank sind sie unter „1978 – 1980 Die Großen Zeichnungen“ zusammengeführt. |
ix | Albertina Wien, Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Inv. DL457 |
x | z.B. Weiler306 |