Gustav Klimt Zeichnungen
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»Fischblut«, »Bewegtes Wasser«, »Irrlichter«, »Daphne«
»Fischblut«, »Bewegtes Wasser«, »Irrlichter«, »Daphne« 1898–1903 (Band I)
Alice Strobl
Während der Arbeit an »Philosophie« und »Medizin« schuf Klimt einige kleinere symbolistische Werke, die sich, sowohl was die Komposition als auch den Figurentypus anlangt, in einen engeren Zusammenhang mit diesen beiden Fakultätsbildern bringen lassen. Aufgrund der Skizzen für diese Monumentalgemälde war es sogar möglich festzustellen, welchem Stadium der genannten beiden Bilder die ersten Entwürfe für diese kleineren Werke entsprechen, von denen manche sofort fertiggestellt, andere jedoch erst zwei bis drei Jahre später zur Vollendung gelangten. Zu den frühesten Arbeiten dieser Art zählt wohl die im Märzheft von Ver Sacrum reproduzierte Buchillustration »Fischblut« (Kat. Nr. 675), die an frühe Studien für die »Schwebende« des gemalten Kompositionsentwurfes der »Medizin«, in der Art der Skizze (Kat. Nr. 524), anschloss. Dennoch studierte Klimt die Stellungen an einem liegenden Akt neu, von denen die Zeichnungen (Kat. Nr. 676/77) die linke der Nixen und die Kat. Nrn. 678/79 die mittlere vorbereiteten. Auf dem letztgenannten Blatt erreichte Klimt jenes schwerelose auf den Wellen Dahingleiten, das den besonderen Reiz der ausgeführten Tuschzeichnung (Kat. Nr. 675) ausmacht. Sie wurde bald nach Eröffnung der Klimt-Kollektive 1903 verkauft und ist seither verschollen. Durch das Überschneiden der in ihren Haltungen nur wenig variierenden Akte wurde ähnlich wie in »Philosophie« und »Medizin« ein unendlicher Rapport angedeutet, bei dem jedoch der Bewegungszug nicht in vertikaler, sondern in diagonaler Richtung verläuft. Unterschiedlich zu den beiden Fakultätsbildern ist auch der Ausdruck der Gesichter und Körper, die nicht von Leiden und Schmerzen, Krankheit und Siechtum geprägt sind, sondern Unbekümmertheit ausstrahlen, die ihrer Wesenheit entspricht. Eine am 10. April 1897 in der Münchener »Jugend« reproduzierte Illustration, ein auf einem Pferd reitender Mädchenakt, von August v. Meissl, die mit ganz ähnlichen Mitteln arbeitete, könnte anregend auf Klimts Darstellung gewirkt haben, insbesondere was die Wiedergabe des Wassers, die Bewegung in der Diagonale und die starken Schwarz-Weiß-Kontraste betrifft. Letztere, ebenso wie das quadratische Format und die auf den Umriss reduzierte Zeichnung, dürften auf Aubrey Beardsleys Illustrationen zurückzuführen sein. Insbesondere lässt das Titelbild des unvollendet gebliebenen Werkes »The Comedy of The Rhinegold«, das in der Dezembernummer der Zeitschrift »The Savoy«, herausgegeben von Arthur Symons, London 1896 (Nr. 8, auf S. 43), reproduziert wurde, vermuten, dass Klimt dieses Werk gekannt hat. [1]
Die Darstellung hat die Rheintöchter zum Gegenstand, die im Wasser schwimmend wiedergegeben sind, was vor allem durch das Dahinfluten der Haare zum Ausdruck gebracht wurde. [2] Dennoch ist der Rhythmus, in dem dies geschah, ein völlig anderer als bei Klimt, der durch die Differenzierung in der Wiedergabe der Haarfarbe bei der mittleren der Nixen einen weiteren Akzent zu setzen wusste.
Sicher ist eine der Wurzeln von Klimts späterem Zeichenstil in dieser Art von Buchillustration zu suchen, in derem Streben es lag, mit möglichst wenigen Mitteln besonders aussagekräftig zu sein. Die oftmaligen Umrisskorrekturen und Akzentuierungen einer als endgültig anzusehenden Linie (Kat. Nr. 677) sind wohl in dieser Weise zu verstehen.
In den Studien für die zur Reproduktion bestimmten Reinzeichnungen arbeitete Klimt, unterschiedlich zu jenen für die Kompositionsentwürfe der Fakultätsbilder, nur noch fallweise mit Schraffen (Kat. Nr. 679). Der Umriss zum alleinigen Ausdrucksträger gemacht, wurde in der Folge immer differenzierter; ihm oblag es, sowohl Licht- und Schattenwirkungen als auch die Plastizität der Körper wiederzugeben.
Dieses Beschränken auf den Kontur bei gleichzeitigen großzügigen Formverschleifungen durch gerundete Linienschwünge, wird in den Studien für ein von der Buchillustration »Fischblut« abgeleitetes kleines Ölbild, »Bewegtes Wasser«, das in der 2. Secessionsausstellung 1898 zum ersten Mal zu sehen war, besonders deutlich (Kat. Nr. 680, 682). Ein neues Motiv des Streckens des Körpers findet sich in der Vordergrundfigur, das in dem aufrecht schwebenden Akt am linken Rand noch verstärkt ist. Zu diesem gehören die Studien Kat. Nr. 686/87 und die Armskizze Kat. Nr. 586. Die genannte Aktstudie (Kat. Nr. 687) wurde im Zusammenhang mit der »Medizin« gesehen, bis sie durch die Entdeckung einer Kompositionsskizze auf der Rückseite (Kat. Nr. 688) [3] mit »Bewegtes Wasser« in Verbindung gebracht werden konnte. In der flüchtigen Notierung von Figuren mit blauer Kreide finden sich sowohl der an unterster Stelle in »Bewegtes Wasser« wiedergegebene Kopf, der auf der Vorderseite studierte Akt als auch kaum sichtbar, die daran anschließende nackte Figur. Es fehlen sowohl der mit den Studien (Kat. Nr. 683/84) entworfene Wassergeist in der rechten unteren Ecke des Bildes als auch die weibliche Hauptfigur des Vordergrundes. Neu hinzu kam dagegen ein vom oberen Rand überschnittener Akt in ganz ähnlicher Haltung, wie sie die Stehende darunter zeigt, neben der sich außerdem ein weiblicher Rückenakt befindet, wie er das erste Mal in Studien für die Übertragungsskizze für die »Medizin« zu finden ist (Kat. Nr. 602), jedoch mit nach rechts seitlich gesenktem Kopf.
Diese im Gegensatz zu »Bewegtes Wasser« übereinander gestaffelte und der Übertragungsskizze der »Medizin« ähnlichere Komposition bildete den Ausgangspunkt für ein bis vor kurzem völlig unbekannt gebliebenes symbolistisches kleineres Werk, das auf der 17. und 18. Secessionsausstellung unter dem Namen »Irrlichter« gezeigt wurde, sich damals in Privatbesitz befand und seither verschollen ist. Durch Erkennen dieses Bildes in einem der Ausstellungsräume der Klimt-Kollektive von 1903, in »Die Kunst«, mit Hilfe einer von Hevesi stammenden Beschreibung und vier Kompositionsskizzen, war es dem Verfasser möglich, die sowohl mit der »Philosophie« [4] als auch mit dem Beethovenfries [5] in Zusammenhang gebrachten Kompositionsentwürfe (Kat. Nr. 685, 696) für »Irrlichter« zu bestimmen und zusammen mit den für diese identifizierten Studien eine Vorstellung vom ausgeführten Werk zu geben. [6] Das Phänomen des Irrlichts, das in der Zeit von 1896–1906 der Gegenstand zahlreicher Aufsätze in den verschiedensten Zeitschriften war, hatte auch seine Auswirkungen auf Themen der Musik, des Tanzes und der bildenden Künste, und kommt als »irrlichtelieren« sogar im Sprachgebrauch vor. Klimt könnte durch eine Illustration in der Münchener »Jugend« angeregt worden sein [7] , dieses Thema auf höchst persönliche Weise zu lösen.
Nicht 1901, wie ursprünglich angenommen, sondern bereits 1899 dürften die ersten Entwürfe für das laut Katalog der Klimt-Kollektive 1903 entstandene Bild gemacht worden sein. Das Vorkommen von zwei Skizzen für »Irrlichter« (Kat. Nr. 702) auf der Vorderseite einer dem Bildnis R.R. von 1901 gewidmeten Zeichnung (Kat. Nr. 490) sowie die Auffindung von drei Kompositionsskizzen für »Irrlichter« (Kat. Nr. 685) auf der Rückseite von Entwürfen für einen nicht ausgeführten Katalogumschlag der Pariser Weltausstellung von 1900 (Kat. Nr. 711) sprechen für das frühe Datum, das seine Bestätigung auch in der nahen Verbindung zu »Bewegtes Wasser« vom Ende 1898 und der 1899/1900 entstandenen Übertragungsskizze für die »Medizin« findet.
In den genannten drei Kompositionsskizzen auf einem Blatt (Kat. Nr. 685), die eine Entfaltung des Themas zeigen, fällt in den beiden oberen vor allem der nach vorne gebeugte Frauenakt auf, der mit den Entwürfen (Kat. Nr. 690–694) näher studiert wurde. Möglicherweise schloss Klimt in diesen an eine außergewöhnliche von Burne-Jones für seine Gouache »Wein der Circe« gewählte Stellung an, die er jedoch nicht in sein endgültiges Konzept aufnahm, wie der unterste der drei Kompositionsentwürfe und Kat. Nr. 696 beweisen. Dagegen wurde der in allen Kompositionsskizzen vorkommende, in ganzer Figur sichtbare Mädchenakt in den Studien (Kat. Nr. 697–705) weiterentwickelt, um das Wesen der Naturerscheinung des Irrlichts besser zu fassen. Eine seiner Eigenschaften, die hüpfende Vorwärtsbewegung, ist allein in der ersten Kompositionsskizze von Kat. Nr. 685 erkennbar, während jene der Verlockung und Verführung mit einem uralten Motiv, das sich übrigens auch in »Bewegtes Wasser« findet, in den Entwürfen (Kat. Nr. 697–701) besonders zum Ausdruck gebracht wurde. In der Studie (Kat. Nr. 703) endet die Haarkrone mit einer Spitze, was auch in der zweiten Kompositionsskizze Andeutung fand und das Züngelnde des Flämmchens darstellen sollte. In der zweiten und dritten Kompositionsskizze von Kat. Nr. 685 zeigen die Haare eine lodernde Form, um schließlich in der Studie (Kat. Nr. 704) die gesamte Figur in einer flammenartigen Bewegung wiederzugeben und gleichzeitig das Verführungsmoment zu unterstreichen. Sie kann vielleicht als eines der extremsten Beispiele einer serpentinierten nackten Gestalt bei Klimt angesehen werden, die auf dem Gebiet der bekleideten Figur ihre Entsprechungen in den Studien für das Bildnis R.R. (Kat. Nr. 494–505) besitzt.
Soweit es jedoch die Reproduktion des Bildes »Irrlichter« erkennen lässt, dürfte die Ausführung von der Studie (Kat. Nr. 705) bestimmt worden sein. Auf die unheilbringende Eigenschaft des Irrlichts wies Klimt wohl auch im vollendeten Bild durch die dämonischen großen Köpfe hin, die sowohl in der zweiten und dritten Kompositionsskizze von Kat. Nr. 685 als auch in Kat. Nr. 696 aufscheinen und sich ebenso wie der in der linken oberen Ecke gemalte weibliche Rückenakt von den flüchtigen Notierungen in Kat. Nr. 688 herleiten.
Die Besonderheit der ausgeführten Komposition bestand im Freibleiben des Zentrums von jeder figürlichen Darstellung, das die über dem Sumpf liegende Atmosphäre zum Gegenstand gehabt haben dürfte. Hier ist eine Verbindung zu den 1899–1901 entstandenen Sumpf- und Atterseelandschaften gegeben. Die farbige Behandlung mag den besonderen Reiz dieses Gemäldes ausgemacht haben. Es wurde von einer, »in gleitenden Wogen dahinfließenden Farbensymphonie, die alles Körperliche ins Ornamentale zieht und nur noch in ungefähren Umrissen einen angenehmen Rhythmus festhält«, gesprochen. [8] Sicher war aber Klimt auch an einem tieferen Sinn der Darstellung gelegen, aus den vielfältigen Erscheinungsweisen des Weibes jene der Verlockung und Verführung zu wählen.
Von nicht geringerem Zauber mag ein zweites verschollenes Gemälde, »Daphne«, gewesen sein, das auf der Klimt-Kollektive 1903 zum ersten Mal gezeigt, noch 1904 in der Großen Kunstausstellung in Dresden und 1905 auf der 2. deutschen Künstlerbund-Ausstellung in Berlin zu sehen war. Mit diesem Werk könnten die Studien (Kat. Nr. 706–08) in Verbindung gebracht werden. Bei ihnen handelt es sich wiederum um Varianten der Skizzen für »Bewegtes Wasser« oder »Irrlichter«. Der für letztgenanntes Werk von der zeitgenössischen Presse geltend gemachte Toorop-Einfluss [9] wurde auch für das Blatt (Kat. Nr. 707) in Anspruch genommen [10] und ist in der bildmäßig gestalteten Zeichnung (Kat. Nr. 708) mit dem die Arme waagrecht ausgestreckten und den Kopf nach hinten gesenkten Frauenakt noch stärker, wenn Toorops »Sphinx« zum Vergleich herangezogen wird. Die von Toorop herkommenden Motive sind jedoch ganz im Sinne Klimts verwendet, wenn man die durch die Orthogonalkomposition verursachte feste Verankerung der Figur in ihrer Umgebung beachtet. Es hat den Anschein, als würden die Füße im Boden Wurzeln schlagen und das Haar sich mit den Baumgruppen am Waldesrand zu einer Einheit zusammenschließen. Dieses vollkommene Aufgehen der Figur in der Landschaft lässt auf eine pantheistische Deutung des Themas »Daphne« durch Klimt schließen.
[1] Freundlicher Hinweis Erich Lederers
[2] Strobl 1978, S. 130, Abb. 36/7
[3] Was Dr. M. Bisanz-Prakken zu danken ist
[4] Nebehay 1969, S. 214
[5] Novotny-Dobai S. 328
[6] Strobl 1978, S. 119–145
[7] Siehe etwa das »Irrlicht« von A. Jank 1896, publiziert am 2. Sept. 1899, Nr. 36
[8] Arbeiterzeitung 9.4.1903
[9] Neues Wr. Tagblatt 30.3.1903; Wiener Abendpost 1.4.1903
[10] Bisanz-Prakken 1978, S. 162