Gustav Klimt Zeichnungen
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Gemälde im Stiegenhaus des Wiener Burgtheaters
Gemälde im Stiegenhaus des Wiener Burgtheaters 1886-1888 (Band I)
Alice Strobl
Bisher nicht veröffentlichten Akten, einem Akkordprotokoll der Hof-Bau-Commission [1] , ist zu entnehmen, dass der Auftrag für die Ausführung der malerischen Ausschmückung der beiden Stiegenhäuser an Franz Matsch, Gustav und Ernst Klimt am 20. Oktober 1886 durch das Hof-Bau-Comité erfolgte. Eine gleichlautende Angabe findet sich auch in Klimts Lebenslauf, während in den autobiographischen Manuskriptblättern von Franz Matsch die Rede davon ist [2] , dass die »Compagnie« bereits 1885 den Auftrag durch Hasenauer erhalten habe. Dies dürfte jedoch kein Widerspruch sein, sondern bedeuten, dass die Aufforderung mit den Entwürfen zu beginnen, bereits 1885 erging. Das Programm für die Deckengemälde ebenso wie für die gesamte künstlerische Ausschmückung des Hauses wurde vom artistischen Direktor des Hofburgtheaters Adolf Wilbrandt (1837–1911) in Bezug auf die dramatische Kunst entworfen und hatte die Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Theaters von der Antike bis ins 18. Jahrhundert zum Gegenstand. [3] Nicht einbezogen in das Programm waren die Themen für die beiden Giebelfelder über den Eingangstüren, mit deren Skizzen man die Künstler erst am 20. Oktober 1886 betraute und für die ihnen auch die Wahl des Themas überlassen war. Ob von Klimt der Gedanke stammte, in den beiden Darstellungen »Dionysosaltar« und »Apolloaltar« auf die kultischen Anfänge der Theaterkunst zurückzugreifen, wie sie in Nietzsches Werk »Geburt der Tragödie« (1871) dargelegt sind [4] , ist nicht überliefert.
Von insgesamt zehn Gemälden hatte Klimt vier: »Thespiskarren«, das Globe-Theater in London mit der Aufführung von »Romeo und Julia«, das Theater in »Taormina« und den »Dionysosaltar« zu malen. Ob Franz Matsch den »Apolloaltar«, der mit seinem Namen signiert ist, was während der Restaurierungsarbeiten 1976 festgestellt werden konnte, nach eigenem Entwurf oder nach jenem von Klimt gemalt hat, bleibt ungeklärt. Beide Entwürfe sind verschollen und in Abbildungen nicht überliefert. Studien Klimts konnten hiefür nicht ausfindig gemacht werden. Nicht bekannt ist auch, in welcher Reihenfolge die Gemälde entstanden, jedoch wäre es vorstellbar, dass Klimt mit »Romeo und Julia« begann, ein Werk, in dem, gemessen an den übrigen Burgtheaterbildern, der Makarteinfluss am stärksten zum Ausdruck kommt. Für dieses Thema hatte Klimt nicht nur in Makarts »Romeo und Julia« 1863/64 sowie in zwei Fassungen der »Scheintoten Julia Capulet« um 1869 ein Vorbild (Frodl 1974, Nr. 34, 107, 108), auch Makarts Gemälde »Das Konklave« (Frodl 1974, Nr. 41) mag Impulse für die zahlreichen im verlorenen Profil dargestellten Zuschauer (Kat. Nr. 144, 146–156) geliefert haben. Darüber hinaus begann sich damals Klimts künstlerische Orientierung nach dem Westen, den Kunstzentren in Frankreich und England auszurichten. Es war dies nicht etwa die Kunst des Impressionismus, der sich in den achtziger Jahren bereits in der Krise befand, sondern die offizielle Kunst des Salons, die Züge impressionistischer Malerei aufgenommen hatte. [5]
So spiegelt sich auch die französische Salonkunst in der Darstellung des mit zurückgesunkenen Haupt wiedergegebenen Romeo (Kat. Nr. 143), in der ein in dem Gemälde Phädra von Cabanel vorkommendes Motiv seitenverkehrt variiert ist. Aus demselben Gemälde übernahm Klimt im Sinn der Ausdruckssteigerung für den entseelten Körper des Romeo die Haltung des schlaff herabhängenden Armes der Phädra.
Auch das Motiv des ausgeschlagenen weißen Hemdes des Romeo ist in der zeitgenössischen französischen Malerei häufig zu finden, etwa in dem Skandalgemälde »Rolla« von Henry Gervex (1852–1929), das 1878 vom Salon zurückgezogen werden musste. [6] Klimt vertauschte diese einfache Kleidung bereits im gemalten Entwurf (Novotny-Dobai Nr. 34) gegen ein prunkvolles Gewand, in dem er seinen Bruder Georg posieren ließ. Diese im Foto festgehaltene Stellung – es gibt für die Burgtheaterbilder mehrere dieser Art [7] – bedeutete für die jungen Künstler sicher einen wichtigen Arbeitsbehelf. Das Motiv des weißen ausgeschlagenen Hemdes gab Klimt jedoch nicht völlig auf, sondern verwendete es für einen der Zuschauer auf der rechten Seite des Bildes. In der Studie hiefür (Kat. Nr. 152) kam Klimt der Wiedergabe der Lichteffekte mit graphischen Mitteln, wie sie sich in dem Gemälde »Rolla« finden, noch näher. [8] Als schönste Zeichnung für das Globe-Theater ist die Studie für die »Julia« (Kat. Nr. 142) anzusehen, in der Klimt ebenso wie beim »Romeo« die Haare schummerte und das Gesicht mit weichen Übergängen sehr wirklichkeitsnah herausarbeitete, während er beim Gewand die Kreide großzügig über das Papier gleiten ließ. Auch dieser Kontrast ist der französischen Salonmalerei nachempfunden.
Der Weg zu einem der Hauptvertreter der englischen Salonmalerei, Laurens Alma Tadema, einem in London ansässigen Friesen (1836–1912), führte wohl über die für die Burgtheaterbilder festgelegte Thematik, nämlich Darstellungen des antiken Theaters wiederzugeben. Die Auseinandersetzung mit der Antike war in Wien zur Zeit des Historismus in der Malerei etwas völlig Neues. Mythologische Darstellungen spielten wohl auch bei Makart eine gewisse Rolle, jedoch wurden sie eher im Sinne der Renaissance oder des Barock interpretiert. Anders in Frankreich oder England, wo 1886 Alma Tadema als bester Kenner und Interpret antiken Lebens galt. Ob die Künstlerkompanie selbst auf seine Werke gestoßen war – Reproduktionsstiche und photographische Nachbildungen seiner Gemälde gab es genug – oder ob seitens des Hofes auf ihn aufmerksam gemacht worden war, ist unbekannt. Jedenfalls wurde bereits 1912 der Einfluss seiner Werke auf Klimt und Matsch sowohl in den Gemälden des Burgtheaters als auch jenen des Kunsthistorischen Museums erkannt (Weixlgärtner 1912, S. 52), worauf ebenso wie auf den französischen Akademismus [9] auch die neuere Forschung Bezug nahm. Jedoch hat sie sich damit nicht im Detail beschäftigt. Alma Tademas Darstellungsweise, seine Vorliebe für Kontraste, das Nebeneinander toter und belebter Materie, das lnbeziehungsetzen von kühlem Marmor, Teppichen, Blumen und Tierfellen mit nackten Frauenkörpern, die oft ins Skulpturale gesteigert sind, kam Klimt sehr entgegen. Ganz aus diesem Geist entstand das »Theater in Taormina«, für das sich nur wenige Studien erhalten haben. Sowohl die Skizzen für das Tamburin schlagende Mädchen, die Flötenbläserin und die beiden Viktorien (Kat. Nr. 160–164) verraten die Kenntnis ähnlicher Figuren bei Alma Tadema. Das gleiche trifft auch für das Motiv des auf einem Ruhebett aufgestützt liegenden Mannes (Kat. Nr. 165) zu, das sich von der weiblichen Hauptfigur des Gemäldes »Im Haus der Lesbia« [10] herleitet.
Einen ähnlichen Geist atmet auch das Gemälde »Thespiskarren« in dem die von Horaz überlieferte Wanderbühne vor Augen geführt wird. Der Fackelschwinger und der Doppelflötenspieler, zu denen sich auch Studien (Kat. Nr. 167–169) erhalten haben, zeigen wiederum die Verbindung zu einem Werk Alma Tademas, dem »Weinlesefest«. [11]
Den Höhepunkt der Burgtheatergemälde bildet der »Dionysosaltar«, dessen Scheinarchitektur in der Art des Pergamonaltares vorzustellen ist, von der aber nur die Basis und der obere Abschluss sichtbar sind. Auf der linken Seite des Giebelfeldes stellte Klimt einen auf dem Bauch liegenden Satyr beim Tamburinschlagen dar, der seine Herkunft von Alma Tadema durch sein Stellungsmotiv nicht verleugnet (Kat. Nr. 174). Daran anschließend eine bronzene Dionysosfigur mit goldenem Krater und Weinstock. In der Mitte befindet sich der eigentliche Altar mit einem Dionysoskopf und zwei Masken, einer heiteren und einer tragischen, die auf Dionysos als legendären Vater der Komödie und Tragödie hinweisen. Links von ihm die Fackel tragende, kniende Mänade mit Weihegaben und einem kleinen Mädchen, das ebenfalls erst in der Endfassung vorkommt und für das sich auch eine Vorzeichnung (Kat. Nr. 177) erhalten hat. Mit seiner strengen Frontalstellung und dem elastischen Umriss scheint es das halbwüchsige Mädchen des Beethovenfrieses (Kat. Nr. 753–56) vorwegzunehmen. Rechts vom Altar die liegende Mänade mit dem Thyrsosstab, deren Vorzeichnung (Kat. Nr. 179) ein Zwischenglied zwischen der entsprechenden Gestalt des gemalten Entwurfes, der noch sehr an Makart gemahnt, und jener der Ausführung bildet. Die liegende Mänade scheint die erste »femme fatale« im Werk Klimts vorwegzunehmen, und lässt an die »Judith« von 1901 (Novotny-Dobai Nr. 113) denken. An den Studien für den Dionysosaltar entwickelte Klimt einen spezifischen Zeichenstil, indem er die porzellanartige Glätte und Plastizität von Frauenkörpern, wie sie etwa in der französischen Salonmalerei und auch bei Alma Tadema zu finden sind, in das Medium der Zeichnung übertrug. Im Stellungsmotiv schloss er an jenes der Phädra Cabanels mit dem sehr wesentlichen Unterschied an, dass die Lage des Körpers nicht den Tiefenzug betont, sondern sich der Fläche einbindet, ähnlich wie es auch Poussin in seinem Gemälde »Narziss« tat. [12] Es ist für Klimts Kunst sehr bezeichnend, dass er bei einem Thema, das Anlass geboten hätte, die Mänaden in rasender Bewegung darzustellen, die eine kniend, die andere liegend gezeichnet bzw. gemalt hat.
Von der liegenden Mänade gibt es einen unmittelbaren Übergang zur Allegorie der »Skulptur« von 1889 (Kat. Nr. 235), so dass wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass innerhalb der Arbeiten Klimts für das Burgtheater der Dionysosaltar zuletzt entstand, das drückt sich auch in der Malerei aus, die gegenüber den übrigen Gemälden viel hellfarbiger ist.
[1] AVA. Z. 10232/B.C.
[2] Giese 1978, S. 28
[3] Wr. Allg. Ztg. 14.10.1888
[4] Hofmann 1970, S. 19
[5] Auf die Salonkunst nimmt bereits J. Bayer, das neue K. K. Hofburgtheater als Bauwerk mit seinen Skulpturen und Bilderschmuck, Wien 1894, Bezug.
[6] Crespelle S. 72, Abb.
[7] Nebehay 1969, Abb. 121, 124–127
[8] Crespelle Abb. 98
[9] Novotny-Dobai S. 380, unter 1886
[10] Zimmern 1886, Abb. 7
[11] Zimmern 1886, Abb. S. 11 und 19
[12] Das Vorbild für Poussin war eine Komposition eines Toten Christus von Paris Bordone, K. Badt, Die Kunst des Nicolas Poussin, Köln 1969, Abb. 60, 61