Bildnis des Hofschauspielers Josef Lewinsky als Carlos in Clavigo und »Allegorien Neue Folge«
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Bildnis des Hofschauspielers Josef Lewinsky als Carlos in Clavigo und »Allegorien Neue Folge« 1895/96 (Band I)
Alice Strobl
Im Mai 1894 oder wenig vorher erhielt Klimt von der Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst im Zusammenhang mit dem Werk über die Wiener Theater den Auftrag, einen der Künstler des alten Burgtheaters zu malen, und zwar in einer Rolle, welche den Betreffenden in seinem Aussehen möglichst wenig verändert. Klimt hatte sich für Josef Lewinsky (1835–1907) in der Rolle des Carlos in Clavigo entschieden und am 19. Mai 1894 zum ersten Mal an den Künstler geschrieben. [1] Ein Jahr später, am 28. Juni 1895, scheint das Gemälde beinahe fertig gewesen zu sein, was einem zweiten Brief Klimts an Lewinsky zu entnehmen ist. [2] Porträtstudien haben sich für das Bildnis, das den Künstler in Rembrandt'schem Helldunkel zeigt, keine erhalten. Dagegen konnte der Entwurf einer Allegorie des Theaters (Kat. Nr. 267) mit der seitlichen Darstellung des Bildnisses in Zusammenhang gebracht werden, die bisher nicht hierfür identifiziert war. [3] Klimt schaltete zwischen Entwurf und Ausführung ein anderes Modell ein (Kat. Nr. 264), das dank der Hilfe von Frau Helene Donner als Pauline Flöge, die älteste der Schwestern Flöge, identifiziert werden konnte. Der im Gemälde unter der weiblichen Gestalt sichtbare Dreifuß, dem aufsteigender Rauch entströmt, ist als Sinnbild der künstlerischen Inspiration zu deuten und könnte von dem Gemälde »Sibylla Delphica« des Burne-Jones [4] angeregt sein.
In einer Ende 1896 entstandenen Neujahrsglückwunschkarte schloss Klimt unmittelbar an Lewinskys Allegorie des Theaters an (Kat. Nr. 281). Dennoch ist ein sehr wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Darstellungen festzustellen. Während das Gesicht in Ausdruck und plastischer Wiedergabe mit dem Vorbild übereinstimmt, hat Klimt das Kleid in der Art einer hellen Silhouette ganz in der Fläche mit kurvilinearem Umriss in Deckweiß auf eine dünne Furnier gemalt, die eine Landschaft mit Brücke, Wasser mit Fischerbooten in der Art eines japanischen Holzschnittes gerade noch durchscheinen lässt. Von dieser weiblichen Figur führt ein direkter Weg zur Allegorie der »Tragödie« von 1897 (Kat. Nr. 340).
Pauline Flöges Bildnisstudie, die sich durch besonders subtile Zeichenweise sowohl in der Behandlung des Gesichts als auch des Kleides auszeichnet, fand in einem zweiten, in den Ausmaßen sehr ähnlichen Gemälde desselben Jahres, in »Liebe« (Novotny-Dobai Nr. 68), Anwendung, das wiederum als Vorlage für das von Martin Gerlach herausgegebene Abbildungswerk »Allegorien Neue Folge« gedient hat.
Als Anregung für die Darstellung der weiblichen Hauptfigur mag Klimt eine Farbstiftzeichnung Fernand Khnopffs [5] »Avec Grégoire Le Roy. Mon coeur pleure d'autrefois« (1889) gedient haben, die er in der Dezember-Nummer des Art Magazin 1890 (Bd. 1891) kennenlernen konnte. Er stellte das bei Khnopff im Profil nach links wiedergegebene Mädchen mit nach hinten gesenktem Haupt seitenverkehrt dar. Auch die Andeutung einer traumartigen Atmosphäre könnte von Khnopff herrühren. Die erhaltenen Studien für diese Gestalt, ebenso jene für ihren männlichen Gegenpart Kat. Nr. 265/66, sind naturalistischer in ihrer Auffassung und weniger gefühlsbetont. Dies gilt nicht für die Köpfe am oberen Rand; besonders der Kinderkopf in der Mitte (Kat. Nr. 261) wird von starkem seelischen Ausdruck bestimmt. In keinem anderen Blatt hat Klimt die Psyche des Kindes so gut erfasst wie in diesem, das sich auch in der Zeichenweise durch eine Vielfalt von Strukturen auszeichnet. Die senkrecht gezogenen Schraffen verschiedener Intensität im Hintergrund verbinden es sowohl mit den übrigen Studien für »Liebe« als auch mit den im 1. Jahrfünft der neunziger Jahre entstandenen Blättern Kat. Nr.246–258. Äußerst locker sind dagegen die vom Licht überstrahlten Haare gezeichnet, während die mit schwarzer und weißer Kreide sparsam das Kleid andeutenden Striche in die Zukunft weisen. Die unter der Zeichnung freibleibende Fläche ist wichtiger Bestandteil der Komposition und nimmt gleichzeitig auf die Wirkung im Gemälde Bezug. Dies gilt auch für die übrigen Studien (Kat. Nr. 260 oder Kat. Nr. 262), wenn auch in eingeschränkterem Maß. Bei den Kat. Nrn. 262, 268/69, 274 handelt es sich um einige der wenigen Darstellungen in Klimts Oeuvre, die ein Lächeln wiedergeben.
Das schmale Hochformat, das sowohl das Bildnis Lewinsky als auch die Darstellung »Liebe« kennzeichnet, findet sich auch in der Studie eines alten Mannes, der ähnlich den gemalten Bildnissen dieses Zeitraumes (Novotny-Dobai Nr. 70–73) einzelne Partien des Gesichts durch grelles Licht hervortreten lässt. An dieser Kreidezeichnung auffällig ist das Anbringen lockerer, mit der Tuschfeder gezogener Striche (Kat. Nr. 259). Ob die auf dem Blatt befindliche Signatur in Blockform bereits zur Zeit der Entstehung des Blattes angebracht wurde oder erst nachdem das Blatt in Fremdbesitz überging, ist schwer zu klären, da Klimt zu diesem Zeitpunkt noch sehr uneinheitlich seine Unterschrift unter seine Werke setzte. Dies beweisen auch die als Reinzeichnungen ausgeführten Vorlagen für »Allegorien Neue Folge«, etwa für »JVNIVS« (Kat. Nr. 272), eine lavierte mit Weiß und Gold gehöhte Kreidezeichnung, bei der Vor- und Nachname in Stufen voneinander abgesetzt und das Datum 1896 mit römischen Ziffern darunter geschrieben wurde. In diesem Blatt sind eine Reihe neuer Tendenzen, aber auch noch manches von den Gemälden des Kunsthistorischen Museums Ableitbares, wie die beiden Randfiguren, festzustellen. Nicht mehr wie dort sind Bogen und Säulen der Architektur des Historismus für die Komposition ausschlaggebend, sondern eine Felderteilung mit rechteckigen und quadratischen Elementen bestimmt die Komposition; Ausdrucksformen, die Klimt bereits bei Alma Tadema kennengelernt hatte, und die durch die Architektur Otto Wagners, der seit 1894 eine Professur an der Akademie der bildenden Künste innehatte, ihre Bestätigung fanden. Eine unmittelbare Vorzeichnung für dieses Blatt (Kat. Nr. 271), das durch die Verwendung einer barock geschwungenen Kartusche, die von auf ionischen Kapitellen stehenden Randfiguren gehalten wird und durch eine ins Bild ragende Rose spielerischer wirkt als die Ausführung, deutet an, dass die Entwicklung in Richtung auf eine stärkere Betonung der Fläche und größere Strenge der Komposition hinzielt. Das Bild im Bild, eine in Buchillustrationen der Zeit oft gebrauchte Darstellungsweise, wird durch die schmale Randleiste als Blatt Papier charakterisiert und zeigt gegenüber dem Entwurf eine stärkere Stilisierung. Der Goldschmuck im Haar verbindet es mit der Allegorie der »Skulptur« von 1889 (Kat. Nr. 235).
Bei weitem zukunftsträchtiger ist das wohl erst zu Ende des Jahres 1896 entstandene Blatt Allegorie der »SKVLPTVR« ¬– es war noch nicht in der Ausstellung von Gerlach u. Schenk Herbst 1896 im Künstlerhaus zu sehen –, in dem zum ersten Mal programmatische Züge hervortreten. Zunächst erscheint die Komposition der 1889 entstandenen Allegorie der »Skulptur« (Kat. Nr. 235) überaus ähnlich, so dass die Vorzeichnung für diese Kat. Nr. 234 bis zur Entdeckung der Reinzeichnung in der Huldigungsadresse für Erzherzog Rainer (Kat. Nr. 235) immer als Entwurf für die Allegorie der »SKVLPTVR« von 1896 angesehen wurde. Unterschiede zwischen den beiden Fassungen von 1889 und 1896 sind jedoch im Thematischen wie im Formalen vorhanden. Die Sicht, die die verschiedenen Stile anhand der Plastik aufzeigt, ist im späteren Werk viel weiter geworden. Bei der Auswahl der Skulpturen, die sich auf die Antike beziehen, betonte Klimt die Frühklassik stärker, vor allem wurde der Kopf der Venus Ludovisi gegen jenen des Kasseler Apoll ausgetauscht. [6] Die Plastiken des Hintergrundes, unter denen ein Bildnis des Augustus, der Kopf der Königin von Saba aus Corbeil, die Dante-Büste, zu erkennen sind, reichen bis ins Rokoko. Sie alle bilden eine Folie für die nackte weibliche Figur, die nun das Zentrum der sich in Schichten aufbauenden Komposition bildet. Dunkles und helles Licht sind in sehr feinen Abstufungen nebeneinander gesetzt. Die Figur ist bei weitem stärker vom Leben erfüllt, als dies bei der Allegorie der »Skulptur« von 1889 der Fall war, was auch durch die Blüten zu ihren Füßen eine Steigerung erfuhr.
Ihre Haare fallen auf die Schultern herab, der Kopf ist etwas geneigt und von einem nostalgischen Ausdruck erfüllt. Von der hieratischen Strenge der Entwurfzeichnung (Kat. Nr. 275) wurde zu einem labileren Standmotiv übergegangen. Neu gegenüber der Allegorie der Skulptur von 1889 ist auch der in die Komposition von unten hereinragende Kopf, der die Allegorie des Wissens in dem Fakultätbild »Philosophie« vorwegzunehmen scheint. Durch ihn ist die Allegorie der »SKVLPTVR« verkörpert, während der weibliche Akt als »Ewige Eva« und damit als sich immer wieder erneuernde Skulptur gedeutet wurde. [7] Sie kann aber genauso auch als Venus gelten, welcher der Apfel gebührt, und die gleichzeitig ein Sinnbild für die neue Kunst darstellt. Trotz hervorragender Zeugen skulpturalen Schaffens der Vergangenheit gebührt ihr, der neuen Gegenwartskunst, der Vorzug. Auf diese Weise beinhaltet das Blatt eine Absage an die herrschende Kunst des Historismus. Einen integrierenden Bestandteil der Komposition bildet auch die Schrift, die genau zwischen Beschriftung und Signatur mit Datumangabe, die der Art Alma Tademas zu signieren nachempfunden ist, unterscheidet.
An diese Darstellungen schließt sich eine Allegorie der weltlichen und der kirchlichen Musik, auf die zunächst nur Angaben im Inventar der aus der Albertina ausgeschiedenen und 1920 Erzherzog Friedrich abgetretenen Blätter deuteten. Es waren dies zwei Bleistiftzeichnungen, von denen die eine die weltliche, die andere die kirchliche Musik wiedergaben und ein Aquarell mit dem letztgenannten Thema. Sie sind nie wieder aufgetaucht. Jedoch vermitteln kleine auf der Rückseite von Zeichnungen festgestellte Skizzen einen Eindruck von den Entwürfen (Kat. Nr. 282a u. b, 283). Demnach plante Klimt sowohl dreiteilige als auch zweiteilige Kompositionen, die in Kat. Nr. 282a eine Kitharaspielerin in der Mitte mit zwei Seitenfiguren und in Kat. Nr. 282b und 283 eine Figur dieses Themas links und eine Gestalt mit Nimbus rechts, wohl einen singenden Engel, zeigen. Die Studien Kat. Nr. 284–287 geben eine Vorstellung von den geplanten Einzelfiguren. In der frontalen Engelsfigur (Kat. Nr. 287) kann eine Vorform der Singenden des Engelchores des Beethovenfrieses (Kat. Nr. 847) gesehen werden.
Zur zweiten Serie der Allegorien dürfte auch eine Darstellung »Kunst und Industrie« gehört haben, die im Kunsthandel zu Beginn der zwanziger Jahre aufgetaucht ist.
[1] WStLB, Handschriften-Sammlung I. N. 38571
[2] WStLB, Handschriften-Sammlung I. N. 38572
[3] Diese Identifizierung ist Dr. M. Bisanz-Prakken zu danken
[4] Abb. Gazette des Beaux Arts 1887, 2, 36. Bd.
[5] Ausst.: Paris, Brüssel, Hamburg 1979/80, Nr. 33 Abb.
[6] Freundl. Mitteilung Univ.-Prof. Dr. H. Kenner
[7] Novotny-Dobai, S. 383