Gustav Klimt Zeichnungen
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Bildnis R.R.
Bildnis R. R. 1901 (Band I)
Alice Strobl
Zum ersten Mal machte Ch. M. Nebehay auf ein in der 10. Ausstellung der Secession im Frühjahr 1901 gezeigtes Damenbildnis von Gustav Klimt aufmerksam [1] , indem er sowohl auf eine Beschreibung dieses Porträts von Ludwig Hevesi [2] als auch auf eine Abbildung des Ausstellungsraumes in Ver Sacrum hinwies, in dem in der Mitte das Fakultätsbild »Medizin« und am äußeren rechten Rand gerade noch das Dekolleté und der rechte Arm eines Damenbildnisses zu erkennen sind. Nun gelang es auch, ein Photo dieses verschollenen Bildnisses ausfindig zu machen, was deshalb von besonderer Bedeutung erscheint, weil damit die Kenntnis von Klimts Bildnismalerei um die Jahrhundertwende eine sehr wesentliche Bereicherung erfuhr. Zwei verschiedene Studienserien ließen sich mit diesem Werk verbinden, deren Identifizierung das Ausfindigmachen eines Blattes erleichterte, das auf der Vorderseite Skizzen einer Dame in dekolletiertem Kleid mit Boa um den Hals und nackten Armen ähnlich der Ausführung zeigt (Kat. Nr. 501), während die Rückseite (Kat. Nr. 491) die Darstellung einer sitzenden Frau in einem schlichten hochgeschlossenen Kleid mit engen langen Ärmeln, wie in den Skizzen (Kat. Nr. 489/490, 492/93) wiedergibt. Die beiden letztgenannten Studien weisen bereits eine Variante des endgültigen Stellungsmotives auf, das die Frontalansicht des Körpers mit einem im Profil dargestellten Kopf verbindet. Diese auch in den meisten Blättern der zweiten Studienserie verwendete extreme Haltung (Kat. Nr. 494–505, 511) variiert des Amerikaners J.S. Sargent (1856–1925) berühmtestes Bildnis Madame Pierre Gautreau, 1884. [3]
Klimts Bestreben, die natürliche Grazie dieser Frau, den Rhythmus ihres Körpers wiederzugeben, ist in den kurvilinearen Umrissen der zweiten Studienserie zum Ausdruck gebracht. Es entsprechen diese Schwingungen jenem Stilisierungsprozess, dem Klimt sowohl die Groß- als auch die Kleinformen in den Werken dieses Zeitraumes unterworfen hat. Wesentlich erscheint, dass diese serpentinierten Gestalten nicht wie im Manierismus um ihre eigene Achse gedreht sind, sondern dass die Bewegung in der Fläche verläuft.
Um für das Bildnis R. R. die entsprechende Haltung des rechten Armes zu finden, spürte Klimt dessen Umrisslinien in zahlreichen Studien nach, zu denen auch zwei hauptsächlich der »Medizin« gewidmete Skizzenblätter (Kat. Nr. 664 u. 665) gehören. Schließlich griff er auf ein bereits in der ersten Studienreihe verwendetes Motiv (Kat. Nr. 492/93), der im rechten Winkel gebeugten Haltung von Ober- und Unterarm, zurück, die er in gestraffterer Form anwendete (Kat. Nr. 500–02, 511). Wie sehr Klimt an der Findung dieser Lösung gelegen war, zeigt, dass er sich nicht scheute, derartige Armstudien auch in seine Kollektiv-Ausstellung von 1903 einzubeziehen. [4] In ähnlicher Weise zeigen auch die Studien für die Handhaltung eine Vielfalt von Variationen, von denen Kat. Nr. 502 die kapriziöse Stellung der Ausführung vorwegnimmt.
Noch stärker als die Studien verbindet sich das ausgeführte Bildnis mit dem Fakultätsbild »Philosophie«, was sich sowohl in der Farbfleckstruktur als auch den glitzernden Akzenten ausdrückt. In dieser Beziehung ist es auch Whistler'schen Bildnissen verwandt (Bildnis der Mutter). Die Nähe zu den Gemälden »Philosophie« und »Medizin« spricht dafür, dass die Studien um 1900 entstanden und dass das Bildnis spätestens zu Beginn des Jahres 1901 fertiggestellt war; denn bereits im März desselben Jahres gelangte es, wie erwähnt, in der Secession zur Ausstellung und wurde 1903 nochmals in der Klimt-Kollektive gezeigt. Das meistens als »Dame in Schwarz«, aber auch unter den Anfangsbuchstaben der Dargestellten angeführte Werk fand fast in allen Ausstellungskritiken Erwähnung und erntete viel Beifall [5] , so auch von Felix Salten, dessen Charakterisierung des Bildnisses auf die psychologische Erfassung der Dargestellten hinzielte. Es heißt dort unter anderem: »Aus den Stoffen, die Klimt mit unnachahmlicher Kunst behandelt, indem er sie gleichsam verzaubert und ihnen das Leben des Körpers mitzuteilen weiß, den sie umhüllen, blitzt das Geschmeide, funkeln Pailletten und schimmern Spitzen. Diese Porträts athmen Lebenswahrheit und entbehren doch der Realität. Sie haben Wirklichkeitstreue und sind doch fast unwirklich dabei ... Er bleibt mit ihnen diesseits des sogenannten Idealisierens. Höchstens, dass er sie stilisiert, kaum merkbar ...« [6]
Klimt scheint diese Frau, der nach den Worten Ludwig Hevesis »ein Etwas von moderner Sphinx in der Kopfform und im Akzent des blühenden Gesichts« anhaftete, besonders fasziniert zu haben, sonst hätte er ihr Gesicht nicht in einer seiner symbolistischen Kompositionen, in den »Nixen«, auch »Silberfische« genannt (Novotny-Dobai Nr. 95), dargestellt, was auch Hevesi nicht entgangen war. [7]
[1] Nebehay 1969, S. 250, 254, Anm. 6, Abb. 340
[2] Hevesi 1906, S. 318
[3] Freundl. Hinweis Franz Eder. Abb. Ormond Kat. Nr. 39
[4] Dr. Max Glaß, Neue Zürcher Zeitung, 29.11.1903
[5] F. Servaes, Feuilleton, in: Neue Freie Presse 19.3.1901, S. 2; Wiener Ztg. 18.3.1901: Armin Friedmann, Die 10. Ausstellung der Secession; N. Fr. Presse 23.11.1903; Wr. Allg. Ztg. 15.11.1903
[6] F. Salten, Secession (Der Fall Klimt), Wr. Allg. Ztg. 14. April 1901, S. 2
[7] Hevesi 1906, S. 451