Gustav Klimt Zeichnungen
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Essays
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Zuschauerraum im Alten Burgtheater
Zuschauerraum im alten Burgtheater 1888/89 (Band I)
Alice Strobl
Bereits während der Fertigstellung des neuen Burgtheaters dachte die Stadtverwaltung daran, den Zuschauerraum des alten Hauses, das sich auf dem Michaelerplatz befand, der Nachwelt durch bildliche Darstellungen zu erhalten. Unveröffentlichten diesbezüglichen Akten des Obersthofmeisteramtes [1] ist zu entnehmen, dass der Gemeinderat am 17. Dezember 1886 den Beschluss fasste, zwei größere Aquarelle des Zuschauerraumes des Hofburgtheaters durch die Maler Klimt und Matsch anfertigen zu lassen, und zu diesem Zweck u. a. die Erlaubnis hiefür und einen Grundriss des Hofburgtheaters vom Obersthofmeisteramt erbat, Wünschen, denen mit Antwortschreiben vom 12. Jänner 1887 mit der Bitte entsprochen wurde, dass die beiden Gemälde erst nach Fertigstellung der Bilder für die beiden Stiegenhäuser des neuen Burgtheaters in Angriff genommen werden.
Laut Klimts Lebenslauf erfolgte diese 1888 und im selben Jahr wurde das Burgtheaterinterieurbild begonnen und 1889 vollendet.
Einen besonderen Anstoß für den Entschluss des Gemeinderates, diese Gemälde ausführen zu lassen, könnte ein Werk von Edouard Dantan (1848–1897), die Darstellung des Interieurs der Comédie-Française während der Pause einer Premiere gegen die Bühne gesehen, gegeben haben, das im Salon 1886 in Paris großes Aufsehen erregt hatte. [2] In diesem Gemälde liegt der Hauptakzent auf der Wiedergabe bedeutender Männer des kulturellen Lebens – Meissonier, Dumas fils, Banville, Gounod, Victorien Sardou, Zola, Alphons Daudet –, um nur die Berühmtesten zu nennen. Sie wurden dementsprechend nahsichtig mit der Bühne im Hintergrund wiedergegeben, während von den Logen und der Galerie nur ein kleiner Ausschnitt zu sehen ist. Anders war die Situation bei den beiden Burgtheateransichten, hier ging es in erster Linie darum, das gesamte Interieur des Theaters festzuhalten, was zur Folge hatte, dass die Zuschauer in einem viel kleineren Maßstab dargestellt werden mussten.
Dennoch ist es durchaus vorstellbar, dass das Gemälde Dantans nicht nur Anlass für die Vergabe zweier ähnlicher Darstellungen war, sondern auch den beiden Künstlern einige Anregungen vermittelt hat. Franz Matschs Aufgabe war es, den Blick zur Bühne, der auch die Kaiserloge umfasste, zu malen [3] , während Klimt den Zuschauerraum von der Bühne hergesehen darstellte (Kat. Nr. 191).
Für Klimts Burgtheaterinterieurbild haben sich zwei verschiedene Arten von Studien erhalten. Es sind dies stark abgekürzte Skizzen auf Papier in kleinem Format (Kat. Nr. 192–210), die Klimt sicher im Theater während der Aufführungen und Pausen gezeichnet hat, wofür der Gemeinderat ebenfalls die Erlaubnis vom Hofbaumeisteramt eingeholt hatte. Laut Matsch erhielten die beiden Künstler eine Permanenzkarte, die es den beiden Künstlern ermöglichte, alle berühmten Schauspieler des alten Hofburgtheaters in ihren Lieblingsrollen zu sehen und gleichzeitig die Abonnenten und sonstigen Gäste des Hauses kennenzulernen. [4] Diese Skizzen haben jedoch nicht die Prominenz zum Gegenstand, sondern zeigen Gruppen von Zuschauern, meist von der Galerie, aber auch von den Logen sowie auch einige Einzelfiguren und wurden vom Künstler für die unmittelbare Übertragung in das Aquarell benützt. Davon zeugen die Aquarellflecke an den Rändern dieser Skizzen, die als Farbproben anzusehen sind. Einzelne dieser beinahe stenographisch abgekürzten Gruppen sind auch im ausgeführten Bild auf der Galerie wieder erkennbar, wie etwa die Dame mit Fächer neben einer ihr den Rücken zuwendeten Figur (Kat. Nr. 194). Die meisten Gruppen sind jedoch beliebig variiert. Einige der Detailskizzen (Kat. Nr. 211–213) beziehen sich auch auf die Beleuchtung.
Außer diesen Gruppenwiedergaben schuf Klimt besonders reizvolle Einzelstudien, die junge Frauen in den verschiedensten Gewändern in anmutigen Stellungen, beim Umbinden eines Shawls, mit oder ohne Hut, von vorne oder im verlorenen Profil, mit Theaterglas oder Fächer zeigen. Man gewinnt den Eindruck, Klimt habe diese Studien beliebig variiert, um immer wieder neue Farbkontraste oder Abarten einer Stellung im Aquarell unterbringen zu können. In diesen Studien konnte ein neuer Stil in Klimts Zeichenweise, vor allem in der Darstellung eines Herrn mit Theaterglas (Kat. Nr. 221), festgestellt werden [5] , der sich aber auch in den übrigen Studien mehr oder weniger stark ausdrückt und sogar für die kleinen Skizzen Geltung hat. Er zeichnet sich durch Verwendung von zügigen Schrägschraffen aus, die sowohl geeignet sind Licht– und Schattenphänomene wiederzugeben als auch durch Winkelverschiebungen Volumina zu betonen. Die Umrisslinien gewinnen an Prägnanz und zeigen Kontraste zwischen geschwungen verlaufenden und in Zacken gezogenen Linien. Es ist dies eine Zeichenweise, die dem internationalen Zeichenstil entspricht. Das zeigt etwa der Vergleich der Studie einer Dame mit Theaterglas (Kat. Nr. 222) mit einer 1885 in der Gazette des Beaux Arts publizierten Zeichnung von Henry Lerolle. [6] Klimt hat diesen Stil auch in den neunziger Jahren fortgesetzt, intensiviert und zu besonderer Vollendung gebracht.
Sowohl beim Ansehen der Skizzen als auch des Aquarells gewinnt man den Eindruck, Klimt habe die Wiedergabe der Galerie am meisten interessiert, ebenso auch die Figuren im Parkett, die nicht zur Prominenz gehörten. Für diese standen ihm die Schwestern und deren Freundinnen als Modelle zur Verfügung. [7] Der ganze Reiz dieser Darstellungen besteht in der Lichtwiedergabe und in der Farbigkeit der Kleider, bei denen zarte Töne, vor allem Rosa und dunkle Farben vorherrschen. Unbemerkt blieb die Verwendung von Gold in mehreren Farbabstufungen, die vom Braungold der Plafondornamente über das Gelbgold des großen Lusters und Rotgold mancher vom Licht getroffenen Teile bis zu den beinahe weißlichgold schimmernden Fransen der Draperien der Ehrenlogen reichen. In seiner Gesamtheit ist das Kolorit auch den beiden Widmungsadressen ähnlich.
Außer der Wiedergabe des Theaterraumes bestand Klimts Aufgabe darin, an die 150 Bildnisse zu malen, die auch heute noch mit Hilfe eines Spiegels, der im Zusammenhang mit einer Heliogravure der Darstellung entstand, zu identifizieren sind. Unterschiedlich zum Gemälde, das die Comédie-Française während einer Pause darstellt, hatte Klimt nicht nur Künstler, sondern auch bekannte Persönlichkeiten aus Politik und Industrie, höchste Beamte wie den Ministerpräsidenten Eduard Graf Taaffe, Gemeinderäte, unter denen Karl Lueger, späterer Bürgermeister der Stadt, hervorgehoben sei, darzustellen. Weiters sind Architekt Oberbaurat Karl Freiherr v. Hasenauer, der Erbauer des neuen Burgtheaters mit Familie sowie der artistische Direktor des Burgtheaters Adolph Wilbrandt, die Schauspieler Alexander Girardi und Katharina Schratt, der Schriftsteller Ludwig Speidel, der Chefredakteur der Neuen Freien Presse Dr. Eduard Bacher, die Komponisten Johannes Brahms und Karl Goldmark, der Hofopernsänger Karl Mayerhofer zu nennen. Die Maler Heinrich von Angeli und Ernst Klimt finden sich ebenso wie Ludwig Lobmayr und Martin Gerlach oder eine der späteren Förderinnen von Klimts neuem Stil, Serena Lederer, damals noch als ganz junges Mädchen, als Serena Pulitzer.
Im Frühjahr 1890 wurden beide Burgtheaterinterieurbilder auf der Jahresausstellung des Künstlerhauses gezeigt und Klimts Darstellung erhielt den laut allerhöchster Entschließung vom 16. April 1890 gewidmeten Kaiserpreis, den Kaiser Franz Joseph I. zur Förderung der »vaterländischen künstlerischen Bestrebungen und zur Hebung des Interesses an der Jahresausstellung der Künstlergenossenschaft« auf die Dauer von fünf Jahren gestiftet hatte. Von der Vergabe dieses Preises, der 400 Gulden betrug, wurden von vornherein alle jene Künstler ausgeschlossen, deren Ruf in der Kunstwelt verbreitet war. Auch ist es von Interesse zu erfahren, welche Künstler mit der Jury betraut waren und Klimts Arbeit auswählten. Es waren dies Eduard Ritter v. Engerth, Prof. Heinrich von Angeli, Prof. Sigmund l'Allemand, Hugo Darnaut und Prof. William Unger. In dem an die k. u. k. Generaldirektion des a.h. Privat- und Familienfonds gerichteten Schreiben wurde hervorgehoben, dass Klimt bei der Lösung dieser an sich schwierigen Aufgabe einen hohen Grad technischer Gewandtheit, feine Beobachtung und seltenes Talent für künstlerische Anordnung bewiesen und die Gestaltung in reizvoller Weise gelöst habe. [8] Die von Klimt und Matsch ausgeführten Burgtheaterinterieurbilder wurden in der Zeitschrift für bildende Kunst [9] als von einem »fesselnden Realismus« bezeichnet, in der Tagespresse fand das auf der XIX. Jahresausstellung der Genossenschaft bildender Künstler gezeigte Klimtsche Gemälde keinen Widerhall. Lediglich das Ereignis der Preisverleihung wurde in knapper Form ohne Kommentar erwähnt. Dennoch muss das Gemälde viel Bewunderung hervorgerufen haben, sonst hätte Klimt nicht einen weiteren Auftrag, den Innenraum eines Theaters, nämlich jenen des Schlosses Esterhazy in Totis wiederzugeben, zur Folge gehabt. Für Klimt war es das letzte Werk, für das ihm eine staatliche Ehrung zuteilwurde.
Sicher trug der vom Kaiser für das Burgtheaterinterieurbild gestiftete Preis dazu bei, dass Klimt 1890/91 einige kürzere Reisen unternahm, die ihn durch das Salzkammergut, nach Krakau, Triest, Venedig und München führten, wie man dies seinem Lebenslauf entnehmen kann. Die Venedigreise könnte wohl für die Gemälde des Stiegenhauses des Kunsthistorischen Museums von Bedeutung gewesen sein, nachhaltiger dürften jedoch die in München gewonnenen Eindrücke gewirkt haben, die Klimt möglicherweise in der 2. Münchener Jahresausstellung von Kunstwerken aller Nationen 1890 im Glaspalast gewonnen hat. Es könnte sein, dass Klimt hier zum ersten Mal mit Originalbildnissen Fernand Khnopffs in Berührung kam, die ein Kritiker der Ausstellung, Alfred Gotthold Meyer [10] , ganz ausgezeichnet beurteilte, die aber wegen ihres kleinen Formates zu wenig Beachtung fanden. Auch ein Kennenlernen von Albert Besnards Gemälden, die von der Farbe her Sensationen waren, ist denkbar. Ebenso erscheinen in heutiger Sicht auch die damals ausgestellten Werke des Engländers George F. Watts, des Schweden Anders Zorn und Eugene Carriere's für Klimts Kunst von Bedeutung.
[1] HHStA, OMeA Akten Kt. 1126, r. 19C, Zl. 147
[2] Crespelle, Abb. S. 6
[3] Nebehay 1969, Abb. 109
[4] Nebehay 1969, S. 97, Anm. 3: Als die Stadt Wien zweihundert prominente Burgtheaterfreunde malen ließ; Gespräch mit dem 74jährigen Franz Matsch. Neues Wiener Journal, Wien 10. VII. 1933
[5] Novotny–Dobai S. 381
[6] Gazette des Beaux Arts, II. Serie, Bd. 31, Abb. S. 489
[7] Nebehay 1969, S. 84
[8] Akten des Künstlerhausarchivs im Wiener Städtischen Landesarchiv ex 1890, auf die mich Hofrat Prof. Dr. W. Koschatzky freundlicherweise aufmerksam machte.
[9] N.F. 1. Jg. S. 54
[10] Die zweite internationale Kunstausstellung, in: Zeitschrift für bildende Kunst N.F. 2. Jg. 1891 S. 71 u. 95