»Hoffnung I«
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»Hoffnung I« 1903/04 (Band I)
Alice Strobl
Ungefähr gleichzeitig mit der »Jurisprudenz« und kleineren symbolistischen Werken entstand auch das Gemälde »Hoffnung I« (National Gallery of Canada, Ottawa), das Klimt in der Kollektiv-Ausstellung seiner Werke 1903 zu zeigen beabsichtigte. Er ließ sich im letzten Augenblick durch persönliche Gründe bestimmen, es nicht auszustellen, da der Unterrichtsminister Johannes Wilhelm Ritter von Hartel, als er von dem Vorhaben erfuhr, dieses Gemälde der Öffentlichkeit zu präsentieren, neue Unannehmlichkeiten fürchtete. [1]
Die der Entstehung neuen Lebens gewidmete Darstellung passte sehr gut in die Jugenstilthematik, und es war sicher kein Zufall, dass 1904 ein Buch über »Die Mutterschaft in der Malerei und Graphik« von A. M. Pachinger erschien.
Klimt bereitete sein Werk äußerst sorgfältig mit einer großen Anzahl von Studien vor. Noch 1967 sollen sich rund vierhundert in einer Privatsammlung befunden haben. [2]
Die ersten Konzepte für »Hoffnung I« standen dem Gedankeninhalt der abschließenden Darstellung des Beethovenfrieses »Diesen Kuss der ganzen Welt« nahe. Das geht aus einer Reihe von Studien hervor, die eine Schwangere, von ihrem Mann gestützt, wiedergeben (Kat. Nr. 943–958). Ihre beiden Körper sind, ähnlich wie es im Kuss des Beethovenfrieses der Fall ist, zu einer Einheit verbunden, jedoch in geänderter Stellung wiedergegeben. Sie zeigen alle die Frau im strengen Profil nach links stehend, manchmal den Kopf sogar ins verlorene Profil gedreht, während der Mann sich ihr zugewendet und schützend den Arm um ihre Schulter gelegt hat. In dieser Phase wurde durch die Gestik des Mannes die Geborgenheit der Frau unterstrichen, was auch in der Haltung beider Köpfe und den nach vorne gezogenen Schultern der Frau zum Ausdruck kommt. Für Klimt scheinen diese Studien nicht allein vom Thema her, sondern auch aus formalen Gründen von großer Bedeutung gewesen zu sein. In erster Linie ging es ihm in den nicht ausgeführten Entwürfen um ein optimales Einbinden des Körpers der Frau in den Umriss des Mannes, der mit seinen eher eckigen Formen, dem senkrechten Abschluss des Körpers auf der linken Seite und der zusammengefassten Kopf-Schulter-Ober- und Unterarmpartie rechts, eine sehr geeignete Folie bildet. Bei der Wiedergabe der Frau trachtete Klimt, ihre Gestalt mit einem harmonisch geschwungenen Umriss zu erfassen, der sowohl ihren Körper hell erstrahlen ließ, als auch in der Lage war, ein Maximum an Volumen auszudrücken (Kat. Nr. 945). Was den Stilisierungsgrad der gewählten Form betrifft, ging er weit über jenen in der Schwangeren der »Medizin« (Kat. Nr. 636/37) hinaus. Als neu fallen in einzelnen dieser Zeichnungen, z.B. in der Kat. Nr. 951 senkrechte, von der Profillinie der Frau ausgehende, kurze parallele Striche auf, die ihr Gesicht stärker vom Körper des Mannes abheben. Derartige zeichnerische Hilfsmittel nahm Klimt bei Bildnissen um 1904 wieder auf.
Im Vergleich mit den Studien für das Liebespaar des Beethovenfrieses (Kat. Nr. 848, 853–56) und einem der Blätter für »Hoffnung I« (Kat. Nr. 952) lässt sich feststellen, dass das Figurenmaß im Verhältnis zu der zur Verfügung stehenden Fläche des Papiers größer geworden ist, so dass die Figuren oft sowohl bei den Köpfen als auch Beinen vom Rand stärker überschnitten werden als bisher. Dem begann Klimt bereits 1903 Rechnung zu tragen, indem er damit anfing, zu Zeichenpapieren mit größerem Format überzugehen.
Mit den stehenden Paaren lassen sich auch Zeichnungen in verschiedenen anderen Stellungen verbinden. Die Vermutung des Verfassers, es handle sich bei zwei von drei in Ver Sacrum 1903 reproduzierten Blättern (Kat. Nr. 961/62) um Studien im Zusammenhang mit »Hoffnung I« wurde durch ein erst vor kurzer Zeit aufgefundenes, noch nicht im 1. Band dieses Werkes abgebildetes Blatt bestätigt, das ein nach links sitzendes Paar mit dem Mann im Vordergrund und einer Schwangeren in der Art des sitzenden Mädchens (Kat. Nr. 976) zeigt. Klimt war sowohl bei den stehenden als auch den sitzenden oder in anderen Stellungen wiedergegebenen Paaren darauf bedacht, die Geschlossenheit der Komposition zu wahren (Kat. Nr. 959–963); diese Tendenz wurde bei den Kat. Nr. 961/62 zum Zwecke der Reproduktion in Ver Sacrum durch die Einengung der Darstellung mit Hilfe eines Rahmens auf ein quadratisches Format noch verstärkt. Dies traf auch für die Studie zu, bei der es durch das Auftauchen des Originalblattes gelang (Kat. Nr. 963), die Größe der Zeichnung, die dem damals von Klimt verwendeten Normalmaß entsprach, festzustellen.
In den Blättern, welche die Schwangere verselbständigt zeigen, kommen die verschiedensten Stellungen vor. Besondere Beachtung verdient hier eine im Lehnstuhl, in strenger Profilstellung wiedergegebene Frau (Kat. Nr. 967), deren Körper mit dem an Melpomene erinnernden Gesicht (Kat. Nr. 441) sowohl in eckige als auch gerundete Formen einbezogen ist. Klimts Bestrebungen, den menschlichen Körper in der Art geometrischer Formen zu stilisieren und mit ähnlich gestalteten Objekten zu kombinieren, kommt auch in der Skizze Kat. Nr. 968 deutlich zum Ausdruck. Bei diesem Blatt hat es den Anschein, als befände sich die Frau – bei der es nicht feststeht, ob es sich tatsächlich um eine Schwangere handelt – in einem möglicherweise von Kolo Moser entworfenen Stuhl, ähnlich jenen, wie er sie bei der Ausstattung der Klimt-Kollektive verwendete. Um ein ganz frühes Stadium der Schwangerschaft dürfte es sich bei den Darstellungen Kat. Nr. 970/71, 973 handeln, die dasselbe Modell zeigen. Obwohl sich unter den Studien auch Darstellungen mit Betrachter bezogenen, stehenden Schwangeren finden (Kat. Nr. 982/83, 988), bleibt die Profilstellung in jenen Studien erhalten, die der Ausführung am weitgehendsten in die Nähe kommen (Kat. Nr. 992, 996). In einer kleinen Skizze in der rechten unteren Ecke eines Studienblattes (Kat. Nr. 995) findet sich die endgültige Haltung vorweggenommen. Im Zusammenhang mit dieser steht auch die Zeichnung Kat. Nr. 987, in der die beschauerbezogene Kopfstellung mit dem für die Ausführung verwendeten Modell, dessen Haar auf die Schultern fällt, vorbereitet wurde.
Zu den schönsten und interessantesten Studien für »Hoffnung I« gehört ein Blatt, das die Hauptfigur mit zwei Kompositionsskizzen wiedergibt (Kat. Nr. 992). Die obere, die vier Schwangere, davon eine in Vorderansicht, zeigt, steht mit einem größeren Entwurf (Kat. Nr. 993) in engstem Zusammenhang, der drei im Profil nach links hintereinandergereihte Schwangere aufweist, und bei dem Klimt unterschiedlich zur Skizze das Blumenmotiv nicht bei der letzten, sondern bei der ersten Gestalt anwendet. Dieses Blatt gehört zu den wenigen von Klimt benützten Beispielen einer Reihung ganz ähnlicher Motive, die in der Jugendstilkunst eine große Rolle spielt. Die untere kleine Kompositionsskizze in Kat. Nr. 992 zeigt drei geistliche Schwestern, ein Thema, auf das auch Kat. Nr. 994 Bezug nimmt und in der Gegenüberstellung mit der oberen Darstellung der Schwangeren auf die »vita activa« und die »vita contemplativa« anspielt. Es kann sein, dass die Darstellung der geistlichen Schwestern im Anschluss an Toorops Zeichnung »Drei Bräute« (Otterloo, Rijksmuseum Kröller-Müller), die 1900 im Rahmen der 7. Secessions-Ausstellung in Wien zu sehen war, Klimt zu dieser Darstellung angeregt hat. [3]
Durch ein 1903 anlässlich der Klimt-Kollektive stattgefundenes Interview war es dem Verfasser möglich, etwas über den ersten Zustand von »Hoffnung I« in Erfahrung zu bringen. [4] Dieser zeigte die Schwangere in einer Landschaft, womit Klimt auf das Wachsen in der Natur gleichnishaft Bezug nehmen wollte, worin sich eine durchaus optimistische, der Schlussdarstellung des Beethovenfrieses ähnliche Einstellung offenbarte. Im zweiten Zustand veränderte Klimt die Landschaft in einen gemusterten Teppich, womit Klimt sakrale Vorstellungen verbunden haben mag. Jedoch plante Klimt bereits zum Zeitpunkt des Interviews den endgültigen Zustand, in dem er beabsichtigte, »um den Gedankeninhalt zu verdeutlichen«, den Teppich durch charakteristische Köpfe zu ersetzen, die in einem von Bertha Zuckerkandl 1909 geschriebenen Artikel »Die Hoffnung« [5] als Krankheit und Laster, Elend und Verbrechen gedeutet wurden. [6] Hier wird die Verbindung zur Darstellung der »Feindlichen Gewalten« des Beethovenfrieses sehr deutlich. Der Gedanke des Ausgesetztseins der Schwangeren und der Gefahren für das werdende Leben sind durch die unmittelbare Nähe des Todes und der Verkörperung des Lasters in der Gestalt eines Seeungeheuers angedeutet, das die Frau in ähnlicher Weise in seinem Bann hält, wie der Polyp den Verbrecher in dem Fakultätsbild »Jurisprudenz«. Während sich für das Seeungeheuer keine einzige Studie erhalten hat, jedoch ein Zusammenhang mit dem Drachen Fafner in der dritten Darstellung von Aubrey Beardsleys »The Comedy of the Rhinegold« von 1896 hergestellt werden konnte [7], ließen sich zwei Studien für den ebenso wie in der »Medizin« mit einem blauen Schleiergewand umhüllten Tod (Kat. Nr. 997/98) erstmals für »Hoffnung I« bestimmen. Diese sind unterschiedlich zur Ausführung, in der der Tod der Schwangeren ganz wenig zugewendet ist, in strenger Profilstellung gezeichnet. Das lange Gewand mit den herabhängenden Ärmeln schließt unmittelbar an die Studien der Rechtsgelehrten der »Jurisprudenz« an (Kat. Nr. 910).
Unmittelbar mit dem persönlichen Leben Klimts verbunden ist die Zeichnung eines toten Säuglings (Kat. Nr. 999), die seinen unehelichen, am 22.6.1902 geborenen und bereits am 11.9.1902 verstorbenen Sohn Otto Zimmermann darstellt. Dieses Ereignis soll, laut Berichten der Verwandten der Mutter des Kindes, Marie Zimmermann, Klimt sehr beeindruckt haben, den, wie aus mehreren seiner an sie gerichteten Briefe hervorgeht [8], ein sehr inniges Verhältnis mit dieser Frau und ihrem gemeinsamen zweiten, etwas älteren Sohn Gustav verband.
Es kann durchaus sein, dass Klimt durch die Schwangerschaft der ihm so nahe stehenden Frau zu dem Werk »Hoffnung I« angeregt wurde, was sich zeitlich mit den Arbeiten am Beethovenfries deckt. Auch könnte der Übergang von einer zunächst sehr optimistischen zu einer vom Tod bedrohten Darstellung der Schwangeren als Auswirkung selbst gemachter Erfahrungen zu werten sein. Ob es sich bei den Studien von Paaren (Kat. Nr. 943–958) um Selbstdarstellungen Klimts handelte, was in einem anderen Zusammenhang angedeutet wurde [9], muss ebenso dahingestellt bleiben wie die Vermutung, Klimt könnte Marie Zimmermann als sein Modell für »Hoffnung I« benützt haben, was ein Vergleich der Studien mit vorhandenen Porträtphotos nicht ausschließt. Für die Ausführung wurde jedoch für das Gesicht, wie bereits angedeutet, ein völlig anderes Modell gewählt.
Sowohl stilistische als auch oben angeführte Gründe legen den Beginn der Studien für »Hoffnung I« um 1902 nahe. Das Gemälde, das sich bereits 1905 mit allen gezeichneten Entwürfen im Besitz von Fritz Waerndorfer, eines Freundes von Gustav Klimt, befand, dürfte um 1904 vollendet gewesen sein.
[1] Siehe Dobai 1971, S. 2–15, mit einer eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung des Gemäldes.
[2] Nebehay 1969, S. 356
[3] Freundlicher Hinweis Dr. M. Bisanz-Prakken
[4] Strobl 1978, S. 138 f.
[5] Wr. Allg. Ztg. 26.4.1909
[6] Strobl 1978, S. 139 f.
[7] Strobl 1978, S. 142, Abb. 42, 43
[8] Nebehay 1978, S. 101–18
[9] Dobai 1971, S. 14