Gustav Klimt Zeichnungen
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Fakultätsbild Philosophie
Fakultätsbild Philosophie 1900–1907 (Band I)
Alice Strobl
Die » Philosophie« wurde als erstes der drei Klimt vom Ministerium für Cultus und Unterricht in Auftrag gegebenen Fakultätsbilder Anfang März 1900 im ersten Zustand ausgestellt. Nachdem ein von Franz Matsch mit zwei Farbskizzen 1893 eingereichter Programmvorschlag für die Ausschmückung des Festsaales der Universität nicht die Billigung der artistischen Kommission des akademischen Senates der Universität Wien gefunden hatte, arbeiteten Franz Matsch und Gustav Klimt auf Veranlassung des Unterrichtsministeriums gemeinsam einen zweiten Entwurf aus, der als Mittelbild den »Sieg des Lichts über die Finsternis« zum Gegenstand hatte und von Franz Matsch stammte. Gleichzeitig wurden auch zwei Studien für die Fakultätsbilder vorgelegt, die eine Ausführung durch Klimt nahelegten, da mit protokollarischer Erklärung vom 4. September 1894 beide Künstler mit der Ausschmückung des Festsaales betraut wurden. Sie hatten sich aber zu verpflichten, die für die Gemälde erforderlichen Skizzen in Farbe auszuführen und diese vor Inangriffnahme der Gemälde dem Ministerium für Cultus und Unterricht zur Genehmigung vorzulegen. Die Präsentation der gemalten Kompositionsentwürfe fand knapp vier Jahre später, am 26. Mai 1898, statt. [1]
Der gemalte Kompositionsentwurf 1898
Klimts frühestes Stadium der »Philosophie« ist nur in einer Reproduktion des gemalten Kompositionsentwurfes überliefert [2], da dieser wie alle Fakultätsbilder Ende des Krieges im Schloss Immendorf in Niederösterreich verbrannte. Man kann annehmen, dass er als zweiter der gemalten Kompositionsentwürfe begonnen wurde, wenn man berücksichtigt, dass Klimt während der Arbeit an den Fakultätsbildern von Kompositionen mit nur wenigen Figuren, wie dem Kompositionsentwurf für die »Jurisprudenz«, zu mehrfigurigen Darstellungen, »Philosophie« und »Medizin«, überging und dass sich dieser Vorgang bis zur Fertigstellung der »Medizin« steigerte. Diese Hypothese wird dadurch unterstützt, dass Matsch's »Theologie«, die keine Änderung erfuhr, als zweifigurige Komposition entworfen wurde.
Früheste Ideenskizzen, wie sie von der »Medizin« und »Jurisprudenz« auf die Nachwelt kamen, fehlen bei der »Philosophie« und sind als vorbereitende Studien der Zeichnung (Kat. Nr. 455) vorstellbar, die als Entwurf für die Allegorie des »Wissens« in der rechten unteren Ecke des gemalten Kompositionsentwurfes gedient hat. Es handelt sich dabei um eine sibyllenartige, entsprechenden Figuren Michelangelos nicht unähnliche, völlig in sich versenkte Gestalt, was auch durch die einfache geometrische Komposition von Kopf und Armen, in der auch die Nackenlinie von Bedeutung erscheint, zum Ausdruck gebracht ist. Diese Figur, die nicht nur mit einer Linie skizziert, sondern von mehreren umfangen wird, zeigt Parallelschraffen, die Licht und Schattenpartien andeuten und die Figur zumindest in ihrem oberen Teil plastisch erscheinen lassen. Diese sind wiederum charakteristisch für Klimts Zeichenstil um 1897, eine Phase, in der Lichtphänomene eine Rolle spielen, was sich auch im fertiggestellten Werk ausdrückt. Dies trug auch dazu bei, die »Philosophie«, im Gegensatz zu den beiden anderen Fakultätsbildern, mit einiger Vorsicht, als impressionistisch zu bezeichnen. Eine weitere, mit blauer Kreide ausgeführte Studie einer jungen Frau für die Allegorie des »Wissens« in ähnlicher Stellung (Kat. Nr. 456) führt noch näher an den gemalten Entwurf heran, besitzt jedoch noch nicht jene Armstellung, die sie im ausgeführten Zustand mit den weiblichen Gestalten in »Musik II« und der Randleiste (Kat. Nr. 367) verbindet.
Hinter der Allegorie des »Wissens« ist im gemalten Entwurf eine dreiköpfige Büste sichtbar, die der Verfasser seinerzeit als ein von der schiwaitischen Trimurti abgeleitetes Sinnbild für Werden – Sein – Vergehen mit der Bemerkung deutete, dass die drei Köpfe jenen von Sphingen glichen. [3] In jüngster Zeit gelang es dem Verfasser, das Vorbild für diese Darstellung mit einer 1821 in Ägypten aufgefundenen vierköpfigen Sphinx aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert kleinasiatischen Ursprungs im Kunsthistorischen Museum (Inv. I, 687) zu identifizieren. [4] Die wahre Bedeutung dieser Sphinx konnte bis heute nicht geklärt werden und gab sicher zu Klimts Zeiten, in denen der Sphinx nicht nur in der bildenden Kunst ein wichtiger Platz eingeräumt war, Anlass zu einer Fülle von Auslegungen. Unmittelbare Studien nach dieser Sphinx haben sich keine erhalten, die Skizze einer dreiköpfigen Sphinx auf der Zeichnung (Kat. Nr. 474) steht mit der Übertragungsskizze in Zusammenhang.
Eine seitenverkehrte Studie (Kat. Nr. 458) mit starken Hell-Dunkelwerten verbindet sich mit dem Mann des Menschenpaares, das auf der linken Seite zusammen mit einem halbwüchsigen Kind wiedergegeben ist und auf Zeugung und Fortbestand des Menschengeschlechtes Bezug nimmt. Damit griff Klimt auf den Gedanken von Erblühen, Pracht und Vergänglichkeit, den Franz Matsch in dem 1893 geschaffenen und abgelehnten Programmentwurf für das Mittelbild des Festsaals der Universität einbezogen hatte, zurück. [5] Bei den übrigen Studien für den männlichen Rückenakt ist dagegen eine Trennung zwischen noch für den gemalten Kompositionsentwurf entstandenen Skizzen und jenen, welche die Übertragungsskizze vorbereiten, schwer zu treffen. Mit letzterer dürften sich jedoch die Zeichnungen (Kat. Nr. 464/65) verbinden. Ähnliche Schwierigkeiten bestehen auch bei der Studie für die Frau des Menschenpaares (Kat. Nr. 466), die darüber hinaus noch zwei Skizzen von Kindern zeigt, die sich nur mit Kinderstudien für die Ausführungen (Kat. Nr. 485–87) in Beziehung setzen lassen.
Unter dem Menschenpaar sind in der Reproduktion kaum erkennbare Gestalten von Philosophen dargestellt. Das Wahrnehmen von Figuren in diesem dunkelsten Teil des Bildes ist allein der Bestimmung einer Zeichnung im Katalog der 522. Kunstausstellung des Dorotheums in Wien zu danken, wo das Blatt (Kat. Nr. 457) mit dem gemalten Kompositionsentwurf in Zusammenhang gebracht wurde. Der Zeichenstil der beiden Skizzen eines Mannes passt ganz ausgezeichnet zu jenem der Studie für die Allegorie des »Wissens« (Kat. Nr. 455). Möglicherweise hatte die Darstellung dieser gelehrten Männer ihren geistigen Ursprung in dem vom Franz Matsch 1893 eingereichten Programm, welches die Wiedergabe berühmter Philosophen vorsah. Nachdem die gemalten Kompositionsentwürfe der Kunstkommission des Ministeriums gemeinsam mit der artistischen Kommission der Universität am 26. Mai 1898 vorgelegt worden waren, verlangte diese für die »Philosophie« eine größere Deutlichkeit in der Ausführung, namentlich eine etwas hellere Beleuchtung, welche die Komposition besser erkennen ließe.
Die Übertragungsskizze
Diesen Wünschen trug Klimt voll und ganz in der Übertragungsskizze (Kat. Nr. 477), im Katalog der Klimt-Kollektive als »Hilfszeichnung« bezeichnet, Rechnung, indem er wesentliche thematische und kompositionelle Veränderungen durchführte. Er nahm von der Wiedergabe von Philosophen vollkommen Abstand, fasste jedoch den Gedanken von Werden – Sein – Vergehen präziser, indem er auch zwei alte Menschen in die Darstellung aufnahm. Mit dem zweiten, vom Mann im Arm gehaltenen kleinen Kind wurde mit besonderem Nachdruck auf die Familie hingewiesen, während mit einem zweiten, kaum wahrnehmbaren Liebespaar, das überhaupt nur im Zusammenhang mit den hierfür bestimmten Studien (Kat. Nr. 478–80) zu erkennen ist, unmittelbar auf die sinnliche Liebe Bezug genommen wurde. [6] In der Ausführung verwarf er jedoch dieses Motiv und ersetzte es durch die Darstellung eines Liebespaares ähnlich der Kat. Nr. 481, die ebenso wie Kat. Nr. 482 eine Variation der Stellung des oberhalb dargestellten Menschenpaares wiedergibt. Klimt verwendete diesen Parallelismus im Sinne der Ausdruckssteigerung, wie er es ganz ähnlich mit der Einbeziehung einer nackten Greisin und eines unbekleideten alten Mannes, die beide die Hände verzweifelt vor das Gesicht halten, tat. [7]
Auch diese Figuren bereitete Klimt mit mehreren Studien vor, die bei der alten Frau von der Skizze nach dem bekleideten sitzenden Modell (Kat. Nr. 467) über eine nackte Kniende (Kat. Nr. 469) bis zu einer liegenden Figur reichen (Kat. Nr. 471). Bei der Darstellung des Greises hat Klimt zwischen zwei verschiedenen Modellen geschwankt. Er wählte sowohl für die Übertragungsskizze als auch für die Ausführung den hageren alten Mann, den er zunächst in gekrümmter Haltung im Profil nach rechts (Kat. Nr. 472/73) vorsah, bevor er zu einer frontalen Darstellung (Kat. Nr. 475/76) überging. Die Studie nach einem beleibteren Modell (Kat. Nr. 474), deren Zusammenhang mit der »Philosophie « durch die Skizze der Sphinx verbürgt ist, fanden zusammen mit weiteren Studien (Kat. Nr. 586–89, 591–92) für das Fakultätsbild »Medizin« Verwendung. Der Typus der alten Frau ist auf Rodins Plastik »Celle qui fut la belle Heaulmière«, die Stellung der vor das Gesicht gehaltenen Hände, die auch den stehenden Greis charakterisieren, auf einen seiner »Bürger von Calais« zurückzuführen. [8]
Die wichtigste Änderung in der Übertragungsskizze bezieht sich auf die Sphinx, die nun in ganzer Gestalt sichtbar, von der Skizze (Kat. Nr. 474) abgeleitet wurde. In dieser hatte Klimt vor allem die verstümmelten Vorderbeine des Vorbildes im Kunsthistorischen Museum ergänzt. Völlig verkehrt ist nun in der Übertragungsskizze das Größenverhältnis der Sphinx zur Allegorie des »Wissens«, der eine untergeordnete Bedeutung zukommt, während die Sphinx zur beherrschenden Erscheinung der gesamten Komposition wurde. Hevesi deutete sie in seiner im Katalog der 7. Secessionsausstellung enthaltenen Beschreibung des ausgeführten Bildes als »Welträtsel«, einen in der Zeit sehr häufig gebrauchten Begriff, der nach Präsentierung des 1899 erschienenen Buches von Ernst Haeckel »Die Welträthsel « im Februar 1900 [9] sicher in aller Munde war.
Das Kosmische der Darstellung erscheint durch die Andeutung der Weltkugel in der oberen rechten Ecke viel stärker als bisher betont, was sicher nicht ohne die Anregung von Albert Besnards Deckenbild im Pariser Rathaus zu denken ist. Dies kommt in der Übertragungsskizze in der Überschneidung von Kreissegmenten, aber auch im Kontrast von Hell- und Dunkelwerten zum Ausdruck, während das Aufleuchten der verschiedenen Sterne erst in das ausgeführte Gemälde übernommen wurde. Bereits im gezeichneten Kompositionsentwurf sind Schleier angedeutet, welche die Figuren zum Teil verdecken, und denen in der Ausführung eine noch größere Bedeutung zukommt. Sie wurden ebenso wie die beherrschende Stellung der Sphinx auf den Einfluss Jan Toorops zurückgeführt. [10] Als Schleier der Sphinx besitzen sie inhaltliche Bedeutung und lassen an eine Stelle bei Goethe denken: »Geheimnisvoll am lichten Tag / Lässt Natur sich des Schleiers nicht berauben, / Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, / Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und Schrauben ... « [11]
Der erste Zustand des Gemäldes 1900
Klimt ergänzte in der Ausführung die Komposition auf der linken Seite entweder durch vom Rand überschnittene oder von Schleiern verdeckte Figuren, für die keine Studien ausfindig gemacht werden konnten, ebenso auch nicht für den herabstürzenden, wohl in Zusammenhang mit Rodins »Danaide« stehenden weiblichen Akt, der an der alten Frau Halt zu suchen scheint. Selbst für die ganz neu konzipierte Gestalt des »Wissens« oder der »Wissenschaft«, die kompositionell jeden Zusammenhang mit der Darstellung des Menschengeschlechtes durch ihre Frontalität verloren hat [12] , fanden sich keine Vorzeichnungen. Dagegen war es neuesten Forschungen möglich, eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dem aus der Tiefe aufsteigenden Kopf des »Wissens« mit Richard Wagners Regieanweisung für die »Erda« in »Rheingold« festzustellen [13] , und die Skizze eines sitzenden männlichen Rückenaktes (Kat. Nr. 479), angeregt durch Rodins »zum Begriff gewordene Plastik Der Denker«, mit einer bisher unbeachtet gebliebenen Darstellung über dem Haupt des »Wissens« als Sinnbild für den »Gedanken« zu identifizieren. [14] Als neu kam schließlich auch die Darstellung eines Embryos auf der rechten Seite des Bildes, im All schwebend, hinzu.
Schließlich seien noch zwei Werke angeführt, die auf Klimts Gesamtkomposition anregend gewirkt haben mögen. Hans Canons »Kreislauf des Lebens« von 1884/85 im Naturhistorischen Museum [15] , in dem sich die Bewegung im Gegensatz zu Klimts »Philosophie« in einem zur Gänze sichtbaren Kreis mit der Sphinx und Saturn als Mittelpunkt vollzieht, während bei der zweiten Darstellung, dem »Glücksrad« von Burne-Jones, eine Verbindung zu Klimts »Philosophie « im Ausschnitthaften, Exzentrischen und Asymmetrischen der Anordnung des Menschenstromes gegeben ist. [16]
Man kann wohl annehmen, dass Klimt diese Werke, wenn auch nicht alle im Original, zumindest in Reproduktion kannte. Charakteristisch für seinen Schaffungsprozess ist das Wissen um die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten in seiner Zeit, aber auch in der Vergangenheit. Seine Studien und Hilfszeichnungen sind es auch, die etwas mehr als seine ausgeführten Werke von diesem Wissen verraten. So ist etwa das Vorbild der antiken Sphinx im gemalten Kompositionsentwurf und auch noch in der Übertragungsskizze erkennbar, während die Sphinx der Ausführung zu einem kaum fassbaren, schemenhaften Wesen wurde, aus dem das antike Vorbild mit seiner Mehrköpfigkeit vollkommen geschwunden zu sein scheint.
Als das fertiggestellte Gemälde auf der 7. Ausstellung der Secession im Frühjahr 1900 zu sehen war, stieß es sowohl auf große Bewunderung als auch auf harte Ablehnung. 87 Universitätsprofessoren protestierten gegen die Anbringung des Gemäldes im Festsaal der Universität. Im selben Jahr nahmen noch bedeutende Künstler des Auslandes Stellung zur Klimtschen »Philosophie«, als es galt, auf der Pariser Weltausstellung den Grand Prix für einzelne Länder zu vergeben. Karl Kraus ist es zu danken, welcher der Secession feindlich gegenüberstand, dass Näheres über die Preisvergabe bekanntwurde. So hieß es Mitte Juni 1900 in der »Fackel« (S. 16), dass Klimts »Philosophie« mit 27 gegen 26 Stimmen die Ehrenmedaille erhielt und dass jene Stimme, die den Ausschlag gegeben hatte, die des Auslandes war. An anderer Stelle steht dazu ergänzend (S. 18), dass im Preisrichterkolleg zwar J. L. Gérôme vertreten war (einer der traditionellen Kunst huldigender Meister), jedoch Stürmer wie Besnard, Billotte und Roll tonangebend waren. [17] Die Erwähnung Albert Besnards in diesem Zusammenhang ist deshalb von Bedeutung, weil daraus hervorgeht, dass sich Albert Besnard zu Klimts Werk, das aller Wahrscheinlichkeit nach von seinem Gemälde im Salon des Science angeregt war, bekannte. Auch Richard Muther stellte eine Assoziation zwischen den beiden genannten Werken Besnards und Klimts her [18] und wusste an anderer Stelle auf den großen Eindruck hinzuweisen, den Klimts Gemälde, das er selbst als ein in selbständigem Nachdenken geschaffenes Werk, frei von jeder Schablone, bezeichnete, auf die französische Presse gemacht habe. [19]
Bedeutende Männer wie Geffroy, André Michel und Octave Mirbeau hatten Klimts »Philosophie« eine ernste Würdigung zukommen lassen. Ähnliches tat auch der Redakteur des Figaro, Arsène Alexandre, der in seinem Artikel »L'Autriche à l'Exposition« (Österreich auf der Weltausstellung), im Figaro Illustré (Oktober 1900, außerhalb der Serie) mögliche Anregungen der Kunst Besnards und Henry Martins auf Klimts Werk andeutete, gleichzeitig jedoch unterstrich, dass es sich um ein tief durchdachtes Werk mit einer sehr persönlichen Auslegung handle. Auch in Paris war die «Philosophie« das Wallfahrtsziel Tausender, jedoch löste es keine Stürme der Entrüstung aus, wie dies in Wien der Fall war. Hier richtete sich die von 87 Mitgliedern des Professorenkollegiums unterschriebene Petition in erster Linie gegen die künstlerische Behandlung des Stoffes. Es kam unter anderem die Meinung zum Ausdruck, dass es Klimt nicht gelungen sei, das begrifflich Gedachte in sinnliche Anschauung umzusetzen.
Die Antwort auf die Frage, wie sich die Universitätsprofessoren die Wiedergabe des Fakultätsbildes »Philosophie« am besten vorstellen könnten, lautete: »Durch die Porträts der berühmtesten Philosophen aller Zeiten«, eine Auffassung, die dem Persönlichkeitskult des Historismus weitgehend entsprach. [20] Klimt ging es jedoch nicht darum, die Repräsentanten philosophischen Forschens, sondern den Gegenstand alles philosophischen Fragens, das Menschengeschlecht darzustellen, nicht ohne auf die vielen unbeantworteten Fragen durch die Wiedergabe der Sphinx hinzuweisen und auch die Sonderstellung des »Wissens« oder der »Wissenschaft«, die aus dem »Dunstkreis des Menschlichen, Allzumenschlichen herausgehoben« erscheint, hinzuweisen. »Sie hat all ihre Befriedigung in sich selbst. Sie fragt nicht nach Qualen und Seligkeiten. Unerschüttert und unerschütterlich sucht sie nach der Wahrheit. Darum sind ihre Augen weit geöffnet und ihr strenger Mund ist geschlossen. Keine Regung von Mitleiden, ja nicht einmal von Gefühl ist auf diesem Antlitz. Sie, die Erforscherin des Menschlichen, ist allem Menschlichen entrückt.« [21]
Nicht übersehen darf dabei werden, dass die Darstellung nicht allein in sich ruht, sondern dafür geschaffen wurde, gemeinsam mit dem Fakultätsbild »Medizin« betrachtet zu werden, und dass sich nach der Mitte des Deckenraumes die Unendlichkeit ausspannt, der Übergang ins Transzendente gegeben ist.
Nicht wie in der Petition angeführt, war es die künstlerische Behandlung des Stoffes, sondern das geistige Konzept, das zum Protest der Mehrzahl der Mitglieder des Professorenkollegiums führte. Es muss aber erwähnt werden, dass sich eine Reihe von Universitätsprofessoren, zu denen auch der Gelehrte der Kunstgeschichte Franz Wickhoff gehörte, für das Werk Klimts eintrat, und in einem vor der philosophischen Gesellschaft der Wiener Universität am 9. Mai 1900 gehaltenen Vortrag »Was ist hässlich?« Klimts »Philosophie« verteidigte.
In einem bisher unbeachtet gebliebenen Artikel von Ferdinand von Feldegg, Architekt und Verfasser ästhetisch-philosophischer Schriften, »Gustav Klimts >Philosophie< und die Culturumwertung unserer Tage« [22] , wurde versucht, den Konflikt auf gegensätzliche Weltanschauungen zurückzuführen.
Feldegg wies darauf hin, »Klimts Bild fasse die Philosophie im Unterschiede zu der Schulmeinung nicht als bloße Summe einzelner >exacter< Wissenschaften, sondern als einheitliche Weltwissenschaft, nicht als Lehre des Sinnlich-Begreifbaren, sondern des Übersinnlich-Unbegreifbaren«.
Weiters führte er aus, dass in Klimts Gemälde Ideen der modernen Theosophie zum Ausdruck gebracht seien, die der »erblühenden Weisheit der Jugend« entsprachen und nicht auf rationalistischer, sondern mystischer Basis beruhten. Mit dieser Behauptung berührte er zwei sehr wichtige Punkte: Die Feststellung eines gemeinsamen philosophischen Denkens aller derjenigen, die unter dem Begriff »Jugend« zusammengefasst wurden, das heißt aller Vertreter der neuen Bestrebungen auf allen Gebieten der Kunst, und als zweites das Fußen dieses Denkens nicht auf rationalistischer, sondern auf mystischer Basis. Eine Behauptung, mit der Feldegg nicht vereinzelt dastand, die auch in anderen Artikeln um 1900 zu finden ist. Allerdings handelt es sich dabei nicht nur um eine auf den religiösen Bereich bezügliche Mystik, sondern mehr um das im Menschen geheimnisvoll Verborgene [23] , für dessen Darstellung die Bezeichnung Symbolismus seit Beginn der neunziger Jahre Anwendung fand. Feldegg stand mit der Behauptung, Klimts »Philosophie« entspräche der modernen Theosophie, nicht vereinzelt da, sie findet sich auch in zwei weiteren unbekannt gebliebenen Artikeln von Franz Servaes. In dem ersten charakterisierte er Klimts Werk als Frucht einer »tiefen, ernsten Weltauffassung, gleichsam als Quintessenz des darwinistischen Zeitalters, betrachtet im Lichte einer modernen Theosophie«. [24] In dem zweiten wies er darauf hin, dass der mystisch-theosophische Zug der Zeit Klimts Ohr erreichte und Gemüt und Phantasie beschäftigte. [25] Diese Angaben mögen aber nur als ein Hinweis dienen, die geistige Situation in Wien um 1900, die auch durch einen starken Pessimismus geprägt wurde, der sich auch in Klimts Werk ausdrückt und im Artikel von Franz Servaes am prägnantesten in Worte gefasst wurde [26], einer näheren Untersuchung zu unterziehen.
[1] Strobl 1964, S. 138–48
[2] Pirchan 1956, Abb. 50
[3] Strobl 1964, S. 143 f.
[4] H. Demisch, Die Sphinx 1977, S. 114
[5] Strobl 1964, S. 140 f.
[6] Dobai 1968, S. 104
[7] Dobai 1968, S. 104
[8] Strobl 1964, S. 150
[9] Wr. Allg. Ztg. 20.2.1900
[10] Bisanz-Prakken 1978, S. 158
[11] R. Steiner, Die Grundbegriffe der Theosophie, Vierzehn öffentliche Vorträge, gehalten in Berlin zwischen dem 29. September 1904 und 30. März 1905, Dornach 1957, S. 57
[12] Vergo 1978, S. 77
[13] Unabhängig voneinander Bisanz-Prakken, NJK 1976, S. 201, und Vergo 1978, S. 95
[14] Bisanz-Prakken, NJK, S. 201
[15] Strobl 1964, S. 148
[16] Dobai 1968, S. 103
[17] Strobl 1976, S. 854
[18] Die Zeit, 17.3.1900, Nr. 285, S. 168/9
[19] R. Muther, Studien u. Kritiken I, S. 58
[20] R. Hamann-J Hermand, Epochen deutscher Kultur von 1870 bis zur Gegenwart, Bd. 1: Gründerzeit, München 1971, S. 156 ff.
[21] F. Servaes, Der Fall Klimt, in: Die Zukunft V., 31. Bd., 7. April 1900, S.65 f.
[22] Architekt, Bd. 6, 1900, S. 23–26
[23] W. Schülermann, Burne-Jones, in: Wiener Rundschau, Bd. III u. IV, 15.11.1897 bis 1.11. 1898, S. 616, und E. Klossowski, Botticelli als Fin de Siècle-Künstler, in: Wiener Rundschau, 2. Band, 1897, S. 544 ff.
[24] Gustav Klimt's »Philosophie«, in: Illustrierte Zeitung Nr. 2974, 28. Juni 1900, S. 952
[25] Der Merker, Wien 1912, 3. Jg. 3. Quartal S. 541
[26] Strobl 1964, S. 152; Vergo 1978, S. 74, dort noch als anonym zitiert